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19.12.2025 20:00

Studie modelliert den Übergang von Neandertalern zu modernen Menschen in Europa

Eva Schissler Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    Wissenschaftler*innen der Universität zu Köln erforschen in Simulationen, wie wahrscheinlich ein Zusammentreffen von Neandertalern und anatomisch modernen Menschen auf der Iberischen Halbinsel war / Veröffentlichung in „PLOS One“

    Mithilfe eines eigens entwickelten Simulationsmodells haben Forschende der Universität zu Köln die Dynamiken des Zusammentreffens von Neandertalern und anatomisch modernen Menschen auf der Iberischen Halbinsel während der Altsteinzeit erstmals nachgezeichnet und untersucht. Vor etwa 50.000 bis 38.000 Jahren kamen die ersten anatomisch modernen Menschen nach Europa und trafen dort auf Neandertalerpopulationen. Das Team untersuchte die jeweiligen Siedlungsgebiete und die Bewegungsprofile beider Gruppen. Gab es Interaktionen und haben sich die Gruppen vermischt? Und wie wurde die Populationsdynamik durch Klimaereignisse beeinflusst?

    Die Ergebnisse der Studie „Pathways at the Iberian crossroads: Dynamic modeling of the Middle–Upper Paleolithic Transition“ unter der Leitung von Professor Dr. Yaping Shao vom Institut für Geophysik und Meteorologie sind in der Fachzeitschrift PLOS One erschienen. Die Studie fand im Rahmen des Forschungsprojekts HESCOR an der Universität zu Köln unter Beteiligung von Professor Dr. Gerd-Christian Weniger (Emeritus) des Instituts für Ur- und Frühgeschichte statt.

    Die Forschenden verwendeten ein numerisches Modell, um explorativ die Möglichkeit eines Zusammentreffens beider Gruppen auf der Iberischen Halbinsel zu simulieren. Das Modell berücksichtigt die vorherrschenden Klimaschwankungen und simuliert die Populationen beider Gruppen sowie deren Vernetzung und Interaktion. Es ist in der Lage, verschiedenste Szenarien dynamisch zu simulieren und steht damit im Kontrast zu klassischen archäologischen und genetischen Verfahren. Es ermöglicht, verschiedene Theorien zu untersuchen und einen neuen Blickwinkel zu schaffen.

    „Durch die Verknüpfung von Klima, Demografie und Kultur bietet unser dynamisches Modell einen breiteren Erklärungsrahmen, mit dessen Hilfe archäologische und genomische Daten besser interpretierbar sind,“ sagt Professor Weniger vom Institut für Ur- und Frühgeschichte.

    Während des Übergangs vom Mittelpaläolithikum zum Jungpaläolithikum nahm die Zahl von Neandertalern in Europa, speziell auf der Iberischen Halbinsel, demnach stetig bis zum Aussterben ab. Zeitgleich breitete sich der anatomisch moderne Mensch in Europa aus. Die Zeit war zudem von starken klimatischen Schwankungen geprägt, wobei sich kalte und warme Phasen abwechselten: Starke Erwärmungsphasen innerhalb weniger Jahrhunderte stehen dabei im Kontrast zu langsameren Abkühlungen (sogenannte Dansgaard-Oeschger Ereignisse), unterbrochen von starken Kaltphasen durch massive Eisbergvorstöße auf dem Nordatlantik (Heinrich-Ereignisse).

    Der genaue Zeitpunkt des Verschwindens von Neandertalern und dem Eintreffen des modernen Menschen ist nicht klar eingrenzbar, daher lässt sich eine potenzielle Begegnung zwischen den beiden menschlichen Spezies nicht ausschließen. Genanalysen von Knochen aus archäologischen Ausgrabungen im Vergleich mit der heutigen Bevölkerung deuten auf eine Vermischung in Ost-Europa in den frühen Wanderungsphasen des modernen Menschen hin. Eine spätere Vermischung der beiden Populationen auf der Iberischen Halbinsel wäre durch die starken zeitlichen Ungenauigkeiten möglich, konnte bisher aber nicht nachgewiesen werden.

    „Wiederholte Durchläufe des Modells mit abweichenden Parametern erlauben eine Abschätzung der Plausibilität der verschiedenen Möglichkeiten: ein frühes Aussterben der Neandertaler, eine geringe Populationsgröße mit hohem Aussterberisiko, oder ein verlängertes Überleben, welches eine Vermischung erlauben würde“, sagt Studienleiter Professor Shao. In den meisten Durchläufen kam es jedoch zu keiner Begegnung beider Gruppen.

    In allen drei Fällen sei die Population stark abhängig von den Klimaschwankungen. In jenen Fällen, in denen die Population lang genug stabil bleiben konnte, war eine Vermischung beider Spezies möglich. Mit einer gering gesetzten Wahrscheinlichkeit dafür (1 Prozent) ergeben sich am Ende der Simulationen geringe Anteile von 2 bis 6 Prozent der gesamten Population, die Gene beider Gruppen besitzen. Diese Vermischung wäre im Nordwesten der Iberischen Halbinsel am wahrscheinlichsten gewesen, ein Gebiet, in dem der moderne Mensch früh genug eintreffen konnte, bevor die Population der Neandertaler vollständig zusammenbricht.

    In weiteren Studien planen die Wissenschaftler*innen, sowohl das numerische Modell als auch das dafür benötigte Potentialfeld zu verbessern. Das Modell soll neben menschlichen Populationen auch Tiere beinhalten, die als mögliche Jagdbeute dienen können. Die dafür benötigten Vegetationsdaten fließen in ein Potentialfeld, welches getrennt für Menschen und Tiere aus einer Vielzahl an Klima- und geographischen Daten berechnet wird. Es wird zudem aktuell untersucht, ob ein spezialisierter Machine Learning Algorithmus dabei behilflich sein kann.

    Das Projekt HESCOR (Human & Earth System Coupled Research) verfolgt interdisziplinäre Forschungsfragen, die Erdsystemwissenschaften, Mensch-System-Modellierung und Geisteswissenschaften zusammenbringen um zu untersuchen, wie Wechselwirkungen zwischen Natur und Kultur unsere Welt geprägt haben und weiterhin prägen. Expert*innen aus den Bereichen Klimawissenschaft, Archäologie, Mathematik und Geisteswissenschaften bringen unterschiedliche Perspektiven und modernste Methoden in die Forschung ein, um grundlegende Fragen der Menschheitsgeschichte anzugehen: Wie haben klimatische Veränderungen den Verlauf der kulturellen Evolution des Menschen beeinflusst? Inwiefern wirken sich menschliche Entscheidungen und gesellschaftliche Veränderungen auf das Erdsystem aus? Können moderne Computerwerkzeuge und maschinelles Lernen die Geheimnisse unserer Vergangenheit entschlüsseln? HESCOR wird durch die Profilbildungsinitiative des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Professor Dr. Yaping Shao
    Institut für Geophysik und Meteorologie
    +49 221 470 3688
    yshao@uni-koeln.de


    Originalpublikation:

    https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0339184


    Weitere Informationen:

    https://hescor.uni-koeln.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Geowissenschaften, Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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