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05.01.2005 14:22

Die Region im Verständnis der EU - das Beispiel Ungarn

Volker Schulte Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Aus Sicht der Europäischen Union ist eine Region schlichtweg eine administrative Größe, auf deren Basis der Ausgleich zwischen so genannten Nettozahlern und Nettoempfängern organisiert wird. Aktuell stehen die neuen EU-Staaten vor der Aufgabe, ihre Strukturen dieser administrativen Gliederung anzupassen. Den Weg Ungarns zum Aufbau der Regionen als statistische Verwaltungseinheiten untersucht Loretta Huszák, Doktorandin am PhD-Studiengang des Zentrums für Höhere Studien der Universität Leipzig.

    Gemeinhin wird unter einer Region ein geografischer Raum verstanden, der durch übergreifende landschaftliche, ethnische, kulturelle, historische, soziale, politische Eigenheiten bestimmt ist. Doch wenn es um Ziel-1-Gebiete und Transferleistungen, um Bruttoinlandsprodukt und Strukturentscheidungen, um schwächere Zonen und besser entwickelte Gebiete, kurzum wenn es um die Regionalpolitik der Europäischen Union geht, dann stoßen nationale administrative Gliederungen an ihre Grenzen. Sie vermögen zwar Zahlen, Summen und Tabellen an Brüssel zu liefern, doch aus Sicht der EU-Zentrale ist das statistische Material kaum miteinander vergleichbar. Schlussendlich bedarf es einer Gliederung, die Regionen auf der Basis einer einheitlichen Größe - das heißt vor allem nach der Zahl ihrer Einwohner - erfasst. Diese Systematik der Gebietseinheiten für die Statistik (NUTS) wurde bereits vor mehr als 25 Jahren von Eurostat, dem statistischen Amt der EU, geschaffen. Die oberste Stufe der Hierarchie, NUTS I, umfasst zwischen sieben und drei Millionen Menschen, NUTS II liegt zwischen drei Millionen und 800.000 und NUTS III zwischen 150.000 und 800.000.

    Inwieweit NUTS-Einheiten auf vorhandene oder neue territoriale Gliederungen bauen, bleibt am Ende den Mitgliedsländern überlassen - auch wenn die Union selbst zuallererst auf die Nutzung bestehender Regionen für das NUTS-System orientiert. Mit Blick auf die nächste Etatperiode der Gemeinschaft, die von 2007 bis 2013 laufen wird, haben die alten EU-Staaten ihre Verwaltungen bereits an NUTS ausgerichtet: Belgien zum Beispiel mit ''Régions'', ''Provinces'' und ''Arrondissements'' oder Deutschland mit ''Bundesländern'', ''Regierungsbezirken'' sowie ''Kreisen''. Den zehn neuen EU-Ländern wurde derweil eine Übergangsphase eingeräumt, aktuell stecken sie mitten in der Neugliederung.

    Dabei setzt der EU-Neuling Polen auf Wojewodschaften als neue, größere Verwaltungseinheiten, die zunehmend die Funktionen und Kompetenzen der überkommenen kleinteiligen Administrationen übertragen bekommen. Für Ungarn hingegen schätzt Loretta Huszak ein: ''Noch ist nichts entschieden.'' Zwar wurden im Zuge des EU-Beitritts bereits 1996 sieben NUTS-II-Regionen geschaffen, in dem zumeist drei der insgesamt 19 Komitate zusammengelegt wurden. Aber nach wie vor diskutieren sowohl Wissenschaftler als auch Politiker rege über die neue administrative Gliederung, erklärt die Doktorandin der Universität Leipzig. Vor allem die ungarischen Wissenschaftler plädieren für die Schaffung einer vollkommen neuen administrativen Struktur: Die 19 Komitate, auf denen NUTS II basiere, seien schließlich erst 1949/50 unter dem Einfluss der sowjetischen Ideologie installiert worden, während des Sozialismus seien sie zu Instrumenten des Zentralstaates degeneriert und ihrer historischen Rolle als lokale Zentren weitgehend entfremdet worden. Für das Gebiet Nordtransdanubien, das Loretta Huszák in ihrer Dissertation näher beleuchtet, bedeutete dies beispielsweise: Der historische Sitz der Kreisverwaltung wurde von Esztergom nach Tatabánya verlegt - von der ''schönsten Stadt Trandanubiens'', einst Krönungsstätte der ungarischen Könige, in das ''kleine Dorf'', das zum Zentrum des Bergbaus entwickelt wurde.

    ''Viele sagen'', resümiert Loretta Huszák die Debatte ungarischer Wissenschaftler, ''dass wir einsehen müssen: Die Komitate sind verwaltungstechnische Ergebnisse der forcierten Industrialisierung. Den Erwartungen an eine moderne Verwaltung können sie nicht entsprechen.'' Aufmerksam beobachtet die PhD-Doktorandin die Entwicklung in Ungarn. Nachdem die Germanistin und Historikerin im Herbst 2002 ihr Aufbaustudium zum Master of European Studies an der Universität Leipzig absolviert hatte, volontierte sie beim Europäischen Parlament als Mitarbeiterin der Presseabteilung. Anschließend entwarf und betreute sie für eine ungarische Kommune Projektideen für EU-Förderanträge. ''Das hatte ich hier in Leipzig gelernt und das konnte ich gleich in Ungarn nutzen.'' Aus dieser Erfahrung heraus und mit einer vergleichbaren Tätigkeit bei der Leipziger Aufbauwerk GmbH wandte sie sich, unter Betreuung von Professor Helena Flam vom Institut für Soziologie, dem Thema ihrer Promotion am Zentrum für Höhere Studien der Universität Leipzig zu. Ihr Interesse gilt dem Werdegang Ungarns: Wird sich das Land für neue Regionen entscheiden? Noch haben die NUTS-II-Regionen kaum Funktionen über die EU-Anforderungen an Statistik und Gliederung hinaus. Noch ist Ungarn ein zentralistischer Staat, in dem sich - ähnlich wie in Frankreich - Macht und Entscheidungen in der Hauptstadt konzentrieren.

    In Ungarn stehen derzeit sowohl die Zahl der NUTS-II-Gliederungen als auch ihr geografischer Zuschnitt zur Diskussion. Angesichts der Tatsache, dass die Hauptaufgabe von NUTS-II-Einheiten die Erhebung, Erstellung und Verbreitung von harmonisierten Regionalstatistiken ist, zielt die Diskussion im Kern auf die Verteilung von Fördergeldern aus dem nächsten EU-Etat. Denn diese Statistiken dienen der EU wiederum als Grundlage, um Aspekte des wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichts innerhalb Europas zu beurteilen und abzubauen. Bis zu vier Prozent des nationalen Bruttoinlandproduktes (BIP) fließen in die Ziel-1-Gebiete genannten Regionen der höchsten Förderstufe, in denen das BIP weniger als 75 Prozent des EU-Durchschnitts beträgt. Noch gilt beispielsweise Ostdeutschland als Ziel-1-Gebiet, es wird diesen Status aber in der nächsten Finanzperiode der EU ab 2007 höchstwahrscheinlich zugunsten der neuen Mitgliedsstaaten verlieren.

    Zudem deutet sich schon jetzt an, dass die auf das Alte gebauten neuen Strukturen in den mittel- und osteuropäischen Staaten zwar EU-konform sind, aber erneut an den Ansprüchen an eine bürgernahe Verwaltung vorbei gehen. In ihrem Untersuchungsgebiet Nordtransdanubien, nordwestlich von Budapest, jedenfalls konnte Loretta Huszák bereits beobachten, dass die NUTS-II-''Hauptstadt'' Székesfehérvár ebenso weit vom Bedürfnis der Bewohner nach einem einfachen und schnellen Zugang zur Administration entfernt liegt wie es die Reißbrettstadt Tatabánya zu sozialistischen Zeiten war. ''Inwiefern die Region, die ja bereits existiert, von der Bevölkerung auch wahrgenommen wird'', gehört nun zu den Fragestellungen, denen Loretta Huszák mittels empirischer Untersuchung vor Ort nachgehen wird.

    Daniela Weber


    Weitere Informationen:
    Loretta Huszák
    Telefon: 0341 97-37865
    E-Mail: huszak@uni-leipzig.de
    Fax: 0341 97-37879


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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