Die Sonne brennt aufs Deck, im Wind fliegen Spritzer von Salzwasser mit, Hafenstädte verlocken zum Landgang, zu Besichtigungstouren oder zum Bummel in den Gassen, und abends wartet neben dem Kapitänstisch das reichhaltige Buffet. Solche Phantasien könnte das Wort "Kreuzfahrt" hervorrufen; doch reizt der Begriff auch zu abwertenden Bemerkungen wie "Kalorienarche" oder "schwimmendes Altersheim". Gähnende Passagiere in Liegestühlen aufgereiht, Plaudergruppen an der Bar in extravaganter Kleidung - vor allem in Europa tragen Kreuzfahrten ein Etikett, das den Hauch von Langeweile im Luxus nicht los wird. Eine Studie am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeographie der Universität Erlangen-Nürnberg hat diesen wichtigen Sektor der Fremdenverkehrsbranche analysiert und Entwicklungspotentiale wie -hemmnisse unter die Lupe genommen. In der von Prof. Dr. Wigand Ritter betreuten Dissertation hat Christian Schäfer unter anderem auch den Aspekt der Nachhaltigkeit berücksichtigt: Ökologisch schneiden "Cruises" keineswegs schlecht ab.
Seit dem Ende der 60er Jahre hat sich die Vergnügungsreise auf See zu einer eigenen Sparte des Tourismus entwickelt und einen schnellen Aufschwung genommen, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Fast 90 Reedereien mit weit über 200 Schiffen werben heute um die Gunst der Passagiere; 1997 lag der Jahresumsatz in diesem Bereich bei über 13 Milliarden US-Dollar. Den Hauptanteil sahnen die nordamerikanischen Cruise-Lines ab, die zu sogenannten "Contemporary Cruises" jährlich mehrere Millionen Amerikaner unterschiedlichster Altersgruppen und sozialer Schichten an Bord nehmen, europäische Urlauber allerdings nur wenig für ihr Angebot begeistern können. Europas Reiseunternehmen wiederum bieten vor allem "klassische Kreuzfahrten" an und erreichen damit eine vorwiegend ältere Klientel.
Um die Anziehungskraft zu erhöhen und den Kundenkreis auszudehnen, empfiehlt die Studie den Aufbau eines erheblich breiteren, marktsegmentgerechten Angebots von Kreuzfahrten. Aufgefächert werden könnten Seereisen unterschiedlichen Stils je nach Lebensphase, nach verschiedenen Interessenslagen der Reisenden - der "Kreuzfahrertypologie" - und nach den regional voneinander abweichenden touristischen Gewohnheiten. Werden abwechslungsreiche, individuell gestaltete Ferientage versprochen, ließen sich sicher Urlauber hinzugewinnen, die in Kreuzfahrten derzeit eher eine Art Seniorenprogramm sehen und eine Unterbrechung der Eintönigkeit höchstens bei einem Anfall von Seekrankheit erwarten.
Karibik bleibt unschlagbar
An Attraktivität gewinnt eine Kreuzfahrt, wenn den Passagieren Erlebnisse geboten werden - was bedeutet, daß das Schiff nicht tagelang im Ozean unterwegs sein sollte, sondern in der Regel tagsüber im Hafen liegt und seine Fahrten nachts absolviert. Um solchen Erwartungen der Kunden gerecht zu werden, hat die Studie die maximal geeignete Distanz zwischen zwei Anlaufhäfen mit rund 210 Seemeilen (oder 390 Kilometern) bestimmt und verschiedene geographische Regionen daraufhin überprüft, ob sie ein ausreichend dichtes "Nachtrand-Netz" aufweisen, ob es also genügend Hafenstädte gibt, die so nahe beieinander liegen, daß das Schiff während der Schlafenszeit von einer zur anderen wechseln kann.
Nur die Karibik und das Mittelmeer bestanden diesen Test. Andere Faktoren wie Landschaft, Strände, Flora und Fauna, Sehenswürdigkeiten, Einkaufsmöglichkeiten und Image, aber auch Sicherheit, politische Stabilität und die Entfernung zu den Herkunftsgebieten der Touristen entscheiden allerdings mit darüber, ob eine Gebiet zur Kreuzfahrtregion geeignet ist. Den letzten Ausschlag gibt das Klima: auch die ansonsten bestgeeignete Region zieht keine Reisenden an, wenn die Wetterverhältnisse das Vergnügen dauerhaft trüben.
Zieht man alle diese Faktoren in Betracht, bleibt allein die Karibik als ideal geeignetes Fahrtgebiet übrig. Die Praxis bestätigt das Analyseergebnis. Die Hälfte aller Passagiertage des weltweiten Kreuzfahrttourismus, in manchen Monaten sogar
70 Prozent entfallen auf diesen Raum. Weder das Mittelmeer mit 15 Prozent noch Südostasien mit 9 Prozent können damit konkurrieren. Immerhin sieben Prozent der Kreuzfahrt-Tage absolvieren ausgesprochene Indivualisten: sie bereisen Alaska und die Westküste Kanadas, die nur im Sommer zu befahren sind. Eine Sonderstellung als "Königsdisziplin" in der Kreuzfahrt nehmen Weltreisen ein.
Das Schiff als geschlossenes System
Geht man davon aus, daß das Rad der Zeit nicht zurückgedreht und der Massentourismus nicht einfach gestoppt werden kann, bleibt das einzig sinnvolle Ziel einer nachhaltig orientierten Tourismusforschung, Vergnügungsreisen aufzuzeigen, die die Umwelt möglichst wenig belasten. In ökologischer Hinsicht wie unter sozio-kulturellen und ökonomischen Gesichtspunkten brauchen Kreuzfahrten den Vergleich mit anderen Urlaubsformen nicht zu scheuen. In einer Lebenszyklusbetrachtung, speziell im Hinblick auf Entstehungs- und Entsorgungskreisläufe, macht die Dissertation dies deutlich.
Als geschlossene und mittlerweile ökologisch optimierte Systeme lassen auch die Schiffe, die für den Urlaub auf See eingesetzt werden, relativ geringe Belastungen entstehen. Vor dem Hintergrund der Diskussionen um den Drittwelttourismus, so folgert die Studie, zeigen Kreuzfahrten einen der wenigen nachhaltigen und tatsächlich gangbaren Wege auf.
gp
* Kontakt:
Prof. Dr. Wigand Ritter, Dr. Christian Schäfer, Lehrstuhl für Wirtschafts und Sozialgeographie
Lange Gasse 20, 90403 Nürnberg, Tel.: 0911/5302 -367, Fax: 0911/5302 -409
E-mail: wsgg00@wsrz2.wiso.uni-erlangen.de
http://www.wiso.uni-erlangen.de/WiSo/Sozw/wsgeo
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geowissenschaften, Gesellschaft, Wirtschaft
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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