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Wissenschaft
"So stellt man sich eine Uni vor, wenigstens ein paar Leute, die sich um Studienanfänger kümmern." Ein bescheidener Wunsch, der erfüllt wurde - der erste Tag an der WiSo Nürnberg in der Erinnerung eines Studierenden. Die überwiegende Zahl seiner Kommilitonen hat weit weniger angenehme Eindrücke vom Beginn der Studien gesammelt: " Massenabfertigung, Hektik", "keine Orientierung möglich", "erschlagen von Informationsflut" und "daß uns niemand haben will". Doch auch wenn sich solche Anfangserlebnisse besonders tief einprägen und obwohl später noch so mancher Kritikpunkt hinzukommt - die Entscheidung, der Fakultät den Rücken zu kehren, fällt aus anderen Gründen. Zwischen Unzufriedenheit mit den Studienbedingungen und Abbruch oder Wechsel ließ sich in einem soziologischen Lehrforschungsprojekt an der Universität Erlangen-Nürnberg unter der Leitung von Dr. Reinhard Wittenberg kein direkter Zusammenhang nachweisen; stattdessen kommt den persönlichen Lebensumständen das stärkste Gewicht zu.
Verbesserungen in der Lehre angestrebt
Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der FAU bemüht sich seit einiger Zeit, die Lehrsituation weiter zu verbessern, beispielsweise über Evaluationen von Lehrveranstaltungen durch Studierende, hochschuldidaktische Intensivseminare, modernere Prüfungs- und Studienordnungen und ein praxisbezogenes Patenschaftsprogramm für die besten Studierenden des Grundstudiums. In einem über drei Semester verlaufenden Projekt im Hauptstudium des Studiengangs Sozialwissenschaften wurde nun zum ersten Mal der Frage nachgegangen, wer aus welchem Grund die Fakultät ohne den ursprünglich angestrebten Abschluß verläßt. Dabei galt das Interesse vor allem den spezifischen Studienbedingungen an der WiSo als denjenigen möglichen Faktoren des Studienabbruchs oder Wechsels, auf die die Fakultät zumindest in gewissem Umfang Einfluß nehmen könnte.
Im Untersuchungsjahr 1996 hatten insgesamt 1.018 Studierende die Fakultät ohne Abschluß verlassen, davon 791 Exmatrikulierte und 227 Wechsler. Diesen wurden im nachhinein 937 eingeschriebene Studierende zugeordnet, die in Bezug auf Studiengang, Studienfortschritt, Geschlechtszugehörigkeit und Lebensalter möglichst hohe Ähnlichkeiten aufwiesen. Die untersuchten Gruppen sind so ausreichend homogen für eine "vergleichende", wenn auch nicht für eine "repräsentative" Untersuchung. 640 Teilnehmer beantworteten die Fragebögen, doch 229 davon - und damit über ein Drittel - erwiesen sich als "Scheinstudierende". Zur Thematik der Gründe für einen - vollzogenen oder ins Auge gefaßten - Abbruch des Studiums oder Wechsel von Studienfach oder Studienort wurden ausschließlich die Antworten der 411 aktuellen oder ehemaligen "ordentlich Studierenden" herangezogen.
Personale Faktoren, die sich auf das Individuum beziehen, kulturelle Faktoren wie beispielsweise die Nationalität, institutionelle Faktoren - zu denen Studiengang und -fach und die Studienordnung gehören - sowie situative Faktoren, die u.a. Studien- und Prüfungsbedingungen, Beratung und Betreuung umfassen, wurden in der Untersuchung daraufhin überprüft, inwieweit sie zur Entscheidung über Abbruch oder Wechsel beitragen. Die stärksten Einflüsse ergaben sich für die Durchschnittsnote im Abitur, fehlende Studienfreunde, Lebensalter und das "Ausweichen" auf ein Studium an der WiSo, weil zur Fachhochschule keine Zulassung zu bekommen war - allesamt Faktoren, die dem "individuellen" Bereich zugerechnet werden. Die Studienbedingungen an der WiSo sind demnach nicht primär für den Studienabbruch oder den Studienfach- und/oder Studienortwechsel ausschlaggebend.
Kritik bleibt ernstzunehmen
Auffallend ist zudem, daß vor allem Exmatrikulierte und Wechsler vor Beginn des Studiums offensichtlich völlig falsche Vorstellungen vom gewählten Studienfach und dem Alltag an einer Universität haben und auch über die Hochschule ihrer Wahl und deren Standort schlecht informiert sind, so daß Enttäuschungen unvermeidlich sind. Dennoch liefern die Ergebnisse keinen Anlaß dazu, studentische Kritik an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät Nürnberg nicht aufzugreifen oder weniger ernst zu nehmen.
Studierende wie Exmatrikulierte und Wechsler reiben sich offensichtlich an den Studienverhältnissen an der WiSo. Dafür spricht zum einen, daß immerhin ein gutes Viertel der Befragten nach dem Ausfüllen des umfangreichen Fragebogens noch die Chance nutzte, "Vorschläge, Anregungen und Kritik zur Thematik und zum Fragebogen" zu formulieren. Ein knappes Viertel dieser Äußerungen befaßt sich mit der Organisation des Studiums und der Prüfungsordnung oder den Prüfungen selbst - Sachverhalte also, auf die die Fakultät einwirken kann. Insbesondere das Grundstudium wird hier thematisiert; Klagen gibt es vor allem über die Praxisferne und den Umfang des Stoffes sowie die strenge Selektion bei der Diplomvorprüfung. Rund zwei Fünftel der Anmerkungen beziehen sich auf die Lehre und ihre Anbieter.
Ein weiterer Anhaltspunkt ergibt sich aus der Kombination der Antworten auf zwei Fragen. Ein überraschend großer Anteil von 81% der Studierenden würde sicher oder vermutlich noch einmal denselben Studiengang wählen; nur 61,4 % aber würden sich dann auch wieder für die WiSo entscheiden. Immerhin 58,8% der Exmatrikulierten ziehen denselben Studiengang ein weiteres Mal in Erwägung; ein zweitesmal an die WiSo gingen davon jedoch nur 23,5%. Die beiden Prozentsatzdifferenzen von 19,6 bzw. 35,3 sollten zu denken geben.
Nahezu konträr sehen die entsprechenden Daten bei den Wechslern aus: Nur genau die Hälfte würde sicher oder vermutlich denselben Studiengang noch einmal wählen - und dafür an die WiSo kommen würden fast ebenso viele, nämlich 48,1%! Womöglich hat diese Gruppe mittlerweile aus eigener Erfahrung gelernt, daß auch in anderen Fächern und an anderen Hochschulen nur mit Wasser gekocht wird.
* Kontakt:
Dr. Reinhard Wittenberg, Lehrstuhl für Soziologie
Findelgasse 7 - 9, 90402 Nürnberg, Tel.: 0911/5203 -699, Fax: 0911/5203 -660
E-mail: reinhard.wittenberg@ wiso.uni-erlangen.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Gesellschaft, Pädagogik / Bildung, Wirtschaft
regional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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