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02.09.1999 15:23

Kinderheilkunde in der "Gartenlaube" 1885-1914

Gabriele Rutzen Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    Lebertran bis der Arzt kommt

    Frische Luft, reichhaltige Ernährung und viel Bewegung - so sollten sich nach den Vorstellungen der Mediziner Ende des 19. Jahrhunderts Kinder zu gesunden Erwachsenen entwickeln. In der Familienzeitschrift "Die Gartenlaube" wurden die Ergebnisse der frühen Kinderheilkunde in populärer Form der Bevölkerung nahegebracht. Wie auf diesem Weg auch dem Monopol der Ärzte in der medizinischen Versorgung der Weg gebahnt wurde, belegt jetzt eine Untersuchung, die Dr. Cora Guddat im Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität zu Köln angefertigt hat.

    Die populärwissenschaftliche Gesundheitsaufklärung zwischen 1885 und 1914 zielte darauf, althergebrachte Therapiegewohnheiten der Eltern durch die wissenschaftlich belegte Medizin abzulösen. Zunehmend empfahl die "Gartenlaube" den Eltern, Ärzte zu Rate zu ziehen. Die gesunde Erziehung der Kinder diente dabei nicht nur dem individuellen Wohlbefinden des Nachwuchses, sondern war dem Ziel der Volksgesundheit untergeordnet.

    Ein Problem, dem die medizinische Laienaufklärung den Kampf angesagt hatte, war der Alkoholismus bei Kindern. "Keinen Alkohol einem Kinde" hieß es 1910 übereinstimmend in Fachliteratur und "Gartenlaube". Häufig wurde nicht nur aufgrund sozialer Probleme oder mangelnder Kontrolle durch die Eltern zur Flasche gegriffen. Oft wurden Kinder vielmehr dadurch alkoholabhängig, daß ihre Eltern ihnen regelmäßig im Krankheitsfall Wein und Bier als Stärkungsmittel verabreichten. Die "Gartenlaube" propagierte neben dem Alkohol-Tabu daher vor allem eine gesunde Ernährung.

    Unter dem Motto "Rundungen sind schön" wurde fett- und kohlehydratreiche Kost empfohlen, womit die Zeitschrift zu Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts noch den Stand der medizinischen Erkenntnisse wiedergab. Obst und Gemüse galten dagegen als nährstoffarm und kamen nur auf den Tisch, "um Abwechslung zu bringen". Über die Verwendung von Lebertran wurden sich Wissenschaft und Presse indes nicht einig. Während die "Gartenlaube" das bei Kindern verhaßte Öl als fettbildende Substanz schätzte, zeigten die Wissenschaftler sich mitfühlender: Weil die Wirksamkeit von Lebertran ohnehin nicht erwiesen sei, sollten die Eltern ihre Kinder damit verschonen.

    Auch Schulprobleme wurden von den Kinderärzten früh als krankmachende Belastung erkannt. "Schulüberbürdung", die Überforderung der Kinder durch Nachmittagsunterricht oder überzogene Ansprüche der Eltern, galt als eine Ursache der häufig auftretenden "nervösen Krankheiten". Zwischen 1885 und 1910 wurde, nicht zuletzt dank der wachsenden medizinischen Aufklärung, die Wochenstundenzahl in den Schulen nach und nach auf 42 Stunden beschränkt. Eine steigende Zahl von Schülerselbstmorden sensibilisierte die Öffentlichkeit zusätzlich für die Problematik. Allerdings wurden in der Fachliteratur auch schon Verkehrslärm und der "Kampf ums Dasein" als Streßfaktoren beschrieben.

    Viel stärker als die wissenschaftliche Literatur setzte die "Gartenlaube" in ihren Erziehungstips auch nationale und politische Akzente. Die Zeitschrift machte 1906 deutlich, wozu die Gesundheitserziehung bei Mädchen dienen sollte: "Gesundheit, Schönheit, Kraft und Fülle" sollten "den zukünftigen Müttern als deutsches Erbe und deutsche Sonderheit gewahrt bleiben".

    Körperliche Betätigung war insofern auch für Mädchen angezeigt. Medizin und Magazin empfahlen dringend die tägliche "Lungengymnastik", also die Bewegung an frischer Luft. Auch dem Tanzen wurde unter medizinischen Aspekten daher durchaus Positives abgewonnen. Der Koedukation allerdings erteilten die Ärzte eine Absage: Mädchen sollten nicht etwa in Gemeinschaft mit den Jungen ihre Körper stählen, sondern auf die Ausbildung "spezifisch weiblicher Reize der Anmut und des Ganges" Wert legen. Enge Mieder hielten die Ärzte aber offenbar in diesem Zusammenhang nicht für dienlich. Im "Büchlein der Schul- und Gesundheitspflege" hieß es 1906: "Verboten ist jede schädliche Kleidung, insbesondere das Korsett."

    Verantwortlich: Ute Riechert-Stark

    Für Rückfragen steht Ihnen Professor Bergdolt unter der Telefonnummer 0221/478-5266 und der Fax-Nummer 0221/478-6794 zur Verfügung.
    Unsere Presseinformationen finden Sie auch im World Wide Web (http://www.uni-koeln.de/organe/presse/pi/index.htm).

    Für die Übersendung eines Belegexemplares wären wir Ihnen dankbar


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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