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17.09.1999 12:01

Fassade von Loyalität

Gabriele Rutzen Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    Fassade von Loyalität
    Die Versorgung der Kölner Bevölkerung mit Alltagsgütern im Zweiten Weltkrieg

    Ein über weite Strecken reibungslos arbeitendes Versorgungssystem für Lebensmittel und Alltagsgüter sowie ein oft willkürlich ausgeübtes Strafrecht verhinderten ein Aufbegehren der Kölner Bürger, selbst als in der zweiten Kriegshälfte die Versorgung mit Alltagsgütern immer lückenhafter wurde. Dennoch konnte die NS-Regierung bis zum Ende des Weltkriegs nur eine Fassade von Loyalität bei der Zivilbevölkerung aber auch bei Parteifunktionären aufrechterhalten. Innerlich hatten nämlich sowohl Kölner Bürger als auch Funktionäre die Verbundenheit zum NS-Staat und dem "Wohl der Volksgemeinschaft" längst aufgegeben und zur Selbsthilfe auf dem Schwarzmarkt, bzw. zur Selbstbedienung in den Amtsstuben gegriffen. Auch mit diesem nur oberflächlichen Machterhalt war das Ziel des Regimes allerdings erreicht. Zu diesem Ergebnis kommt Gabriele Wiggen-Jux in einer Untersuchung über die Versorgung der Kölner Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg, die sie am Historischen Seminar der Universität zu Köln angefertigt hat.

    Um während des Krieges nicht von einem Versorgungsnotstand überrascht zu werden, hatte die nationalsozialistische Regierung schon vor Kriegsbeginn ein umfassendes System aufgebaut, das jedem deutschen "Vollgenossen" die hinreichende Versorgung mit Lebensmitteln und alltäglichen Gebrauchsgegenständen sichern sollte. Dazu wurden, wie in jedem Ort, so auch in Köln, Ämter und Gerichte installiert, die die Verteilung durchführen und überwachen sollten.

    Das Versorgungssystem funktionierte, bis der Luftkrieg nach wiederholten Bombenangriffen Wirkung zeigte. Die Wende in der reibungslosen Versorgung kam für Köln mit dem sogenannten 1.000-Bomber-Angriff vom 30./31. Mai 1942. Je mehr nicht nur Wohnraum und Produktionsstätten, sondern auch Amtsstuben und Verwaltungsmaterial vernichtet wurde, desto schwieriger wurde eine einigermaßen geordnete und effiziente Versorgung. Viele Bürger - so die Kölner Historikerin - sahen sich in einem Zwiespalt zwischen Loyalität zum Staat und dem wirtschaftlichen Zwang, sich Güter auf dem Schwarzmarkt zu verschaffen. So wurde seit 1943 die Geldwirtschaft zunehmend durch Tausch- und Schleichhandel ersetzt.

    Nach jedem Luftangriff war die Versorgung der "Fliegergeschädigten" oberstes Gebot. Chaos und Unzufriedenheit der Bürger durch Verluste an materiellen Werten sollten verhindert werden. Deshalb fiel schon beim bloßen Anschein des Plünderns die Strafe besonders hart aus. Eine Frau, die vielleicht nur versehentlich ein paar Dinge ihrer Nachbarin aus den Trümmern ihres Hauses hervorgeholt hatte, wurde in kürzester Zeit zum Tode verurteilt und hingerichtet. Um die reine Abschreckung etwas abzumildern, versuchte die Regierung so oft wie möglich, materielle Verluste durch Sonderzuteilungen, z.B. an Seife, Tabak, Kaffee oder Kartoffeln, auszugleichen. So wurde im Juni 1942 gemeldet, daß die Kölner Bevölkerung dem 1.000-Bomber-Angriff mit viel "Haltung" begegnet sei und die "sofort durchgeführten Sonderzuteilungen" sich sehr gut auf die Stimmung ausgewirkt hätten.

    Die Vorschriften zur Bestrafung von Verstößen gegen die Rationierung waren bewußt ungenau gehalten. Es war nicht zu ersehen für welche Vergehen welches Strafmaß zu erwarten war. So wurde eine Rechtsunsicherheit geschaffen, die abschreckend wirken sollte. Unter anderem zur Aburteilung von Vergehen gegen die Wirtschaftsgesetze wurde ein "Sondergericht" eingesetzt, dessen Urteile besonders schnell gefällt wurden und gegen die es kaum Berufungsmöglichkeiten gab. Wurde jemand "auf frischer Tat ertappt", so daß ein Schuldnachweis überflüssig schien, brauchten normale rechtsstaatliche Schritte nicht eingehalten zu werden. Dies wirkte ebenfalls abschreckend, sollte der Bevölkerung aber auch vor Augen führen, wie gut das "Wohl der Volksgemeinschaft" vom NS-Regime geschützt wurde.

    Ein typisches Vergehen gegen das Versorgungssystem war z.B. der Versuch von Händlern oder Herstellern, Waren unter der Hand, ohne Bezugsscheine, zu verkaufen. So hatte ein Metzger große Mengen Fleisch heimlich an ein renommiertes Kölner Restaurant, aber wohl auch an höhere Parteimitglieder verkauft. Zwar erhielt der Metzger eine hohe Freiheitsstrafe, die Verfolgung der Abnehmer wurde aber nicht allzu intensiv betrieben. Laut Dr. Wiggen-Jux traten Unterschlagungen im Amt durch Mitarbeiter der zuständigen Behörden verhältnismäßig häufig auf. Hierbei wurden z.B. Bezugsmarkenhefte zum eigenen Gebrauch oder zum Weiterverkauf entwendet. Wurde ein derartiger Amtsmißbrauch angezeigt, kamen die Angeklagten oft mit vergleichsweise geringeren Strafen davon, als andere Bürger in ähnlichen Situationen. Hierin, wie auch im vielfach egoistischen Handeln der NS-Machthaber selbst zeigt sich, daß die von Oben verordnete Selbstaufopferung für die Gemeinschaft nur eine weitere Strategie zur Sicherung der eigenen Macht war.

    Verantwortlich: Dr. Wolfgang Mathias
    Für Rückfragen steht Ihnen Gabriele Wiggen-Jux ab 16.00 Uhr unter der Telefonnummer 02202/252708 zur Verfügung.
    Unsere Presseinformationen finden Sie auch im World Wide Web (http://www.uni-koeln.de/organe/presse/pi/index.htm).
    Für die Übersendung eines Belegexemplares wären wir Ihnen dankbar.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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