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Wissenschaft
Erziehungswissenschaften: DFG foerdert FAU-Projekt Anfaenger auf der phonologischen Route
In der Didaktik des Lesen- und Schreibenlernens wurden bisher ueberwiegend visuelle Prozesse, vor allem das rasche Erkennen von Wortbildern, als zentral angesehen. Tatsaechlich erfassen erwachsene Leser sozusagen hypothesentestend ganze Wortbilder und Wortreihen. Auch 5- bis 6jaehrige Kinder koennen sich Wortbilder merken (z.B. TAXI, Post), jedoch erweist sich diese Lernstrategie als Irrweg. Nach neueren Forschungsergebnissen nehmen Leseanfaenger die "phonologische Route", d.h. sie muessen Lesen zunaechst auch als Erfassen der Laut-Buchstaben-Korrespondenz verstehen. Das Institut fuer Grundschulforschung der Erziehungswissenschaftlichen Fakultaet an der Universitaet Erlangen-Nuernberg testet unter der Leitung von Prof. Dr. Wolfgang Einsiedler und Prof. Dr. Paul Helbig verschiedene Unterrichtsmethoden und deren Erfolg.
In der internationalen Forschung wird heute anstelle der visuellen Prozesse die Sprachbewusstheit, speziell die phonologische Bewusstheit, als "Schrittmacher" des Lesen- und Schreibenlernens betrachtet. Sprachbewusstheit bzw. phonologische Bewusstheit bedeutet mit Blick auf lesenlernende Kinder die Beachtung des Formaspekts der Sprache, das Wissen um die Lautstruktur der Woerter sowie das Wissen um die Korrespondenz der Lautsprache und der Schriftsprache. Schwierigkeiten bereiten dabei die phonetische Mehrdeutigkeit (ein Graphem steht fuer mehrere Phoneme, z.B. V in Vater und Vase) und die graphemische Mehrdeutigkeit (ein Phonem wird durch mehrere Grapheme abgebildet, z.B. /f/ in Fisch, Vater, Photo).
In Dutzenden von Studien hat sich im angloamerikanischen Bereich gezeigt, dass Kinder, die als Lernvoraussetzung phonologische Bewusstheit mitbringen, besser Lesen und Rechtschreiben lernen (bereits mit 5jaehrigen koennen Testaufgaben, z.B. zum Silbenklatschen oder zum Angeben der Lautanzahl kurzer Woerter, durchgefuehrt werden). In Interventionsstudien trugen Trainingssequenzen zur phonologischen Bewusstheit zu besseren Lernerfolgen in Lesen und Schreiben bei.
Im deutschsprachigen Raum war man zunaechst skeptisch gegenueber dem Konzept phonologische Bewusstheit, da man vermutete, es sei in der deutschen Sprache, die wesentlich lauttreuer als die englische Sprache ist, nicht so bedeutsam. Jedoch trat auch in Studien Muenchener und Salzburger Psychologen mit deutschsprachigen Kindern ein betraechtliches Erklaerungspotential des Lesen- und Schreibenlernens mit phonologischer Bewusstheit zutage.
Training zur entscheidenden Zeit
Das Nuernberger Projekt ist das erste im deutschsprachigen Raum, das ein Training phonologischer Bewusstheit in den ersten, entscheidenden Monaten des 1. Schuljahrs vorsieht. Die Fragestellungen sind auf deskriptive und auf Erklaerungsaussagen gerichtet: Wie entwickelt sich phonologische Bewusstheit in Klassen mit unterschiedlicher Methodik des Lesen- und Schreibenlernens? Welche Zusammenhaenge bestehen mit guten Lernerfolgen und mit Misserfolgen beim Lesen- und Schreibenlernen? Wirkt sich ein Training phonologischer Bewusstheit positiv auf den Schriftspracherwerb aus? Ist das Training geeignet, der Lese-Rechtschreib-Schwaeche vorzubeugen? Das Projekt ist als quasiexperimentelle Laengsschnittstudie angelegt. In fuenf Klassen, die nach einem Fibellehrgang unterrichtet werden, wird ein Training phonologischer Bewusstheit durchgefuehrt. Dabei koennen in den ersten Wochen Trainingsaufgaben aus einem daenischen Programm von Lundberg Verwendung finden (z.B. Woerter in Silben teilen, Anlaute erkennen). Im zweiten Teil erfolgt im Klassenunterricht und in individualisierter Form ein Lautiertraining, das metakognitiv ausgerichtet ist, d.h. die Kinder lernen dabei auch eine Lernstrategie zur Erfassung der Phonem-Graphem-Korrespondenz.
Weitere fuenf Klassen trainieren den "Entwicklungsorientierten Schriftspracherwerb". Dies ist an den sog. "Spracherfahrungsansatz" (Language experience approach) angelehnt, der im Nuernberger/Erlanger Raum bereits von einer Reihe von Lehrerinnen praktiziert wird. Die Kinder lernen dabei ohne Fibel mit konkreten Schreibanlaessen das Lesen und Schreiben. Der Ansatz gruendet sich auf eine Theorie logisch abfolgender Entwicklungsstadien beim Schriftspracherwerb. Da die Kinder von Anfang an mit einer bildunterstuetzten Anlauttabelle Woerter schreiben und lesen und dabei in den ersten Schulmonaten wesentlich haeufiger als im Lehrgangsunterricht die Phonem-Graphem-Korrespondenz anwenden, wird angenommen, dass sich die phonologische Bewusstheit ohne spezifisches Training entwickelt. - In der Kontrollgruppe wird Lesen und Schreiben mit einem Fibellehrgang ohne zusaetzliche Massnahmen unterrichtet.
Augenmerk auf individuelle Entwicklung
Die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit wird mit einem Prescreening und einem Postscreening erfasst (testaehnliche Einzelerhebungen zu Teilfaehigkeiten der phonologischen Bewusstheit). Der Lernerfolg in Lesen und Rechtschreiben wird mittels standardisierter Tests festgestellt. Mit regelmaessigen Beobachtungen und Befragungen der Kinder sollen auch individuelle Entwicklungsverlaeufe in ihrer Dynamik und nicht nur summative Werte erhoben werden. Die genannte Entwicklungstheorie wird zum ersten Mal an einer repraesentativen Stichprobe ueberprueft.
Das Projekt "Die Entwicklung phonologischer Bewusstheit sowie des Lesens und Rechtschreibens im 1./2. Schuljahr unter verschiedenen unterrichtsmethodischen Bedingungen" wird von 1997 bis 1999 mit 250.000 DM durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefoerdert.Verantwortliche Mitarbeiter/Mitarbeiterinnen sind Eva-Maria Kirschhock, Dr. Sabine Martschinke und PD Dr. Gerhard Treinies.
Kontakt: Prof. Dr. Wolfgang Einsiedler, Prof. Dr. Paul Helbig, Institut fuer Grundschulforschung, Regensburger Strasse 160, 90478 Nuernberg, Tel.: 0911/5302 -529, Fax: 0911/5302 -715, E-Mail: gsd1 bzw. gsd2@ewf.uni-erlangen.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Deutsch
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