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16.12.1999 14:47

Naturkunde in Bayerns Elementarunterricht

Gertraud Pickel Presse und Kommunikation
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Von Rückschritten und Zeiten des Stillstands unterbrochen, mit deutlichen Unterschieden von Stadt und Land und zwischen den Regionen lief in Bayern die Integration des Naturkundeunterrichts in den Lehrplan der Elementarschulen ab. Als zum Lesen- und Schreibenlernen allmählich auch Texte vom Wissen über die Natur herangezogen wurden, war noch nicht abzusehen, daß später einmal aus dem neuen Stoff ein Pflichtfach werden sollte - und die Entscheidung dafür fiel schließlich unter dem Einfluß der Natonalsozialisten, die damit ideologisches Rüstzeug unter das Jungvolk bringen wollten. Anhand von Schulbüchern aus dem Zeitraum von etwa 1770 bis 1945 verfolgt Dr. Michael Freyer, wie naturkundliche Inhalte auf der untersten Stufe des bayerischen Unterrichtswesens Einlaß in den Stundenplan fanden. Unter der Leitung von Prof. Dr. Max Liedtke wird damit am Institut für anthropologisch-historische Bildungsforschung der Universität Erlangen-Nürnberg die Projektreihe fortgesetzt, die 1991 mit Untersuchungen zur Geschichte des Biologieunterrichts an Bayerns 'höheren' Schulen begonnen hatte.

    Auseinandersetzungen darüber, ob und wie Naturkunde - oder Biologie - in den Schulen unterrichtet werden sollte, waren in hohem Maße von weltanschaulichen Differenzen geprägt. So kämpften die Kirchen heftig dagegen an, daß sich die Lehre von der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Lebewesen verbreitete. Neuhumanisten schätzten alle "Realien" gering und plädierten dafür, solche als unwichtig betrachteten Sachgebiete stark einzuschränken, um die Schüler vor Überforderung mit einer Fülle von Lehrstoff zu bewahren.

    1804 rief ein "aufklärerischer" Lehrplan, der unter anderem erstmals Naturkunde an Elementarschulen als selbständiges Lehrgebiet vorsah, in Bayern derartige Entrüstung hervor, daß die Richtlinie sieben Jahre später praktisch zurückgezogen wurde. Die Sachkunde-Fächer blieben danach lange dem Belieben der Schulen überlassen. Neben solchen Hemmnissen und außerhalb der späteren Vereinnahmung durch die rassistische Ideologie gab es jedoch auch fördernde Impulse, die weniger mit Werthaltungen oder Vorurteilen als mit gesellschaftlicher Entwicklung zu tun hatten: für Landwirtschaft, Technik und den Gesundheitszustand der Bevölkerung erwiesen sich Kenntnisse in Naturkunde zunehmend als nützlich.

    Konstanz und Wandel

    Welche naturkundlichen Lehrinhalte mit welcher Begründung und in welchem Tempo ab der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in das elementare Bildungswesen Bayerns eingeführt wurden und schließlich einen festen Platz innerhalb eines eigenständigen Unterrichtsfachs erhielten, ist die erste Fragestellung des Forschungsprojekts. Dazu werden die verschiedenen Schulbuchgattungen analysiert, die an Bayerns Schulen zur Verfügung standen: Lehrerhandbücher, Realienbücher, Sach-Lesebücher und Schul-Naturgeschichten. Diese Quellen sollen Auskunft über Konstanz und Wandel des naturkundlichen Unterrichts geben; sie spiegeln Ausfall- und Intensivierungszeiten wider und lassen Rückschlüsse auf die Methodik zu. Wie der Lehrstoff in den Büchern aufbereitet ist, welche Rolle die Anschauung spielt, welche Bedeutung einem systematischen Aufbau eingeräumt wird und in welchem Maße neue wissenschaftliche Erkenntnisse aufgenommen werden, ist für ein differenziertes Gesamtbild des Naturkundeunterrichts wichtig.

    Daß der Umgang mit Naturkunde an bayerischen Elementarschulen in Städten anders ausfiel als auf dem Land, zeichnete sich bereits bei Vorarbeiten zu dem Projekt ab. Ein noch deutlicherer Unterschied wird für einen Vergleich der "Trivialschulen" mit den Universitäten und höheren Schulen Bayerns erwartet, für welche der Prozeß der Einführung naturkundlicher Inhalte schon früher erforscht wurde. Offensichtlich setzte sich der neue Lehrstoff in der untersten Bildungsstufe erheblich langsamer durch. Genauere Daten über diese zeitliche Verschiebung, den "cultural lag", sollen in einem zweiten Teil des Projekts erarbeitet werden. Außerdem wird untersucht, ob die Inhalte variierten. Falls dies zutrifft, soll geklärt werden, wodurch die Unterschiede zustandekamen.

    Ähnlichkeiten in Europa

    Als die Naturkunde in Bayern unter der Herrschaft der Nationalsozialisten zum allgemeinverbindlichen Unterrichtsfach für Elementarschulen wurde, war die Einführung sicher durch ideologische Erwägungen forciert. Allerdings zeigen sich in anderen europäischen Ländern ähnliche zeitliche Abläufe. Deswegen ist im Forschungsprojekt drittens ein internationaler Vergleich eingeplant. Zu diesem Zweck werden Schulbücher und bildungspolitische Verordnungen aus Ländern wie Frankreich, Belgien, Schweden und England herangezogen.

    Quellenmaterial für die Untersuchung findet sich in der Johannes-Guthmann-Schulbuchsammlung, die Prof. Liedtke ab 1974 als Teil der Schulgeschichtlichen Sammlung der Universität Erlangen-Nürnberg eingerichtet hat, und in der privaten Schulbuchsammlung, die Prof. Dr. Dr. Franz Pöggeler im Jahr 1994 dem Bayerischen Schulmuseum Ichenhausen stiftete. Darüber hinaus ist ein Austausch mit der Universität Leuven abgesprochen.

    * Kontakt:
    Prof. Dr. Max Liedtke, Dr. Michael Freyer
    Institut für anthropologisch-historische Bildungsforschung
    Regensburger Str. 160, 90478 Nürnberg, Tel.: 0911/53 02 -574
    E-Mail: paed1@ewf.uni-erlangen.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Pädagogik / Bildung
    regional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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