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14.02.2000 15:06

"Des Truckers Nahmen, auch die Stadt": Entstehung und Entwicklung des Titelblatts

Gertraud Pickel Presse und Kommunikation
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Autor, Sachtitel, Erscheinungsort und -jahr, Signet des Druckers oder Verlegers und eine Illustration, die den Leser ansprechen soll: den heute vertrauten festen Platz zu Beginn eines Buches bekam all dies im Verlauf einer Zeitspanne von etwa fünf bis sechs Jahrzehnten nach der Erfindung des Buchdrucks um 1450. Vormals rahmten stattdessen Incipit und Explicit, die Anfangs- und Schlußworte, den Text ein; Angaben zum Verfasser oder zum Druck konnten auch in einer Schlußformel, dem Kolophon, enthalten sein, und ein Holzschnitt stellte die Einleitung dar. Unter der Leitung von Prof. Dr. Ursula Rautenberg wird nun rekonstruiert, wie einzelne Bestandteile nach und nach auf die Vorderseite des ersten Blattes rückten, ansatzweise normiert und so angeordnet wurden, daß ein vereinheitlichtes Layout entstand - bis sich das Titelblatt endgültig durchgesetzt hatte. Wissenschaftliche Mitarbeiter des DFG-geförderten Vorhabens der Erlanger Buchwissenschaft sind Dr. Johanna Gummlich und Oliver Duntze, M.A.; als studentische Hilfskraft arbeitet Gabriele Kachelrieß mit am Projekt.

    Unsere Vorstellungen vom Alltagsgegenstand 'Buch' sind - im Gegensatz zum Kodex oder zur Buchrolle - vom gedruckten Buch bestimmt, und dies ungeachtet aller technologischen Neuerungen, die seit der Erfindung der Typographie durch Johannes Gutenberg um 1450 den Herstellungsprozess verändert haben. Erst mit den elektronischen Publikationsmedien bahnt sich gegenwärtig ein tiefgreifender Wandel an, der mittelfristig zu einer funktionalen Medienkonkurrenz zwischen typographischem und elektronischem Textträger führen wird. Gerade vor der Folie der digitalisierten Textvermittlungsformen aber werden nochmals mit aller Schärfe die an die Materialität des 'klassischen' Buches gebundenen, rezeptionsleitenden Textorganisations- und Kommunikationsstrukturen deutlich.

    Werbung um den Leser

    Eine der wesentlichen Errungenschaften des frühen Buchdrucks ist das eigenständige Titelblatt, das das gedruckte Buch sowohl dem mittelalterlichen Kodex als auch den elektronischen Publikationsmöglichkeiten (noch) voraus hat. Zu seinen Funktionen gehört neben der Identifikation von Autor, Text und Ausgabe auch die Herstellung eines appellativen bzw. werbenden Käufer-/Leserbezugs. Die Entwicklung vollzieht sich damit im Kontext des frühmodernen, gegenüber dem mittelalterlichen Handschriftenhandel anonymisierten Buchmarktes.

    Die Inkunabeln der ersten Generation bis um 1480, für die der mittelalterliche Kodex noch vorbildlich ist, haben nur in seltenen Fällen ein dem Text vorgeschaltetes Blatt, das als Vorstufe eines Titelblatts gelten kann. Erst mit der Entstehung neuer Buchtypen um 1470/80 (gekennzeichnet u.a. durch kleinere Formate, geringeren Umfang, wenig sorgfältige, dafür billigere Produktionsweise, höhere Auflagen, Aufnahme zeitgenössischer Texte, Zunahme serieller Illustrationsformen) beginnt der Aufstieg des Titelblatts. Aber auch jetzt sind nur in den wenigsten Beispielen alle der uns selbstverständlichen Informationen auf dem Titelblatt versammelt. Impressumsrelevante Elemente verbleiben noch länger am Buchschluß.

    Im allgemeinen wird davon ausgegangen, daß das Titelblatt um 1500 häufig vorkommt und sich um 1520 allgemein durchgesetzt hat. Tatsächlich deutet eine staatliche Zensurmaßnahme darauf hin, daß der Entstehungsprozeß des Titelblatts spätestens um 1530 zu einem Abschluß gekommen ist. Der Augsburger Reichstagsabschied vom 19. November 1530 schreibt u.a. vor, daß kein Buch gedruckt oder verkauft werden soll, ohne daß "des Truckers Nahmen und Zunahmen, auch die Stadt, darinnen solches getruckt mit nehmlichen Worten darinnen gesetzt" ist.

    Der Untersuchungszeitraum reicht damit von ca. 1460 bis 1530. Für diesen Zeitraum soll der Prozeß von Entstehung und Entwicklung des Titelblatts buchtypen-, textsorten- und sprachenspezifisch (volkssprachlich/lateinisch) in breiter regionaler Streuung (Drucker / Druckort / Region / buchhändlerische Beziehungen zwischen Regionen) analysiert werden. Besonderer Augenmerk gilt dabei dem Warencharakter des frühneuzeitlichen Buches, der die Durchsetzung eines 'werbenden' Titelblattes begünstigt, dem Zusammenspiel und Spannungsverhältnis zwischen textlichen und bildlichen Bestandteilen des Titelblatts sowie der Frage, ob sich generell ein Zusammenhang zwischen Buchtyp und Textsorte und der Entstehung des Titelblatts bzw. bestimmter Varianten herstellen läßt.

    Aus methodischer Sicht soll das Projekt auch dazu beitragen, die Begriffsverwendung zu klären. Sowohl in der deutschen als auch in der internationalen Literatur werden Titelblatt, Titel, Vortitel, Schmutztitel etc. noch uneinheitlich gebraucht.

    Katalog der Titelblätter

    Ein weiteres Ziel des Forschungsprojekts ist die Erarbeitung eines Korpus früher Titelblätter. Der regionale Erfassungsraum liegt bei den für den Inkunabeldruck wichtigen Ländern Deutschland, Italien, Niederlande, Frankreich und England. Die wesentlichen Impulse für die Entstehung des Titelblatts dürften von den Kernländern Deutschland und Italien ausgegangen sein, während die übrigen genannten Gebiete sich zunächst rezeptiv verhielten. Die Titelblätter werden in einem Katalog erfaßt und beschrieben. Die Beschreibung kann sich nicht allein auf die Quellenbibliographien stützen, sondern muß vorwiegend nach Mikrofilmaufnahmen erfolgen, da nicht alle Beschreibungsmerkmale aus den Bibliographien entnommen werden können. Vorbereitend muß ein Kriterienkatalog für eine weitgehend formalisierte Beschreibung entwickelt werden.

    Der Katalog der Titelblätter soll als Datenbank realisiert werden, so daß für die Auswertung jeweils chronologische und/oder länder- bzw. druckerspezifische Listen erstellt werden können. Hierzu wird das in öffentlichen Institutionen verbreitete Datenbanksystem HiDA 3 (Hierarchischer Dokument-Administrator) mit der Systematik des "Marburger Inventarisierungs-, Dokumentations- und Administrationssystem"(MIDAS) vom Bildarchiv Foto Marburg verwendet. Die Auswertung wird auf der Basis des Katalogs zu einer Monographie über Entstehung und Entwicklung des frühen Titelblatts führen, die buchhistorische, kunst- und literaturgeschichtliche Zugänge vereint. Es ist zudem geplant, die aus dem Projekt entstehenden Publikationen um eine dokumentierende CD-ROM zu ergänzen.

    Prof. Rautenberg hat sich in eigenen Publikationen seit mehreren Jahren mit dem Problem des Titelblatts auseinandergesetzt. Den unmittelbaren Anlaß für die Beantragung des Projekts bildet ihre umfassende buch- und drucktechnische Analyse der Produktion des Nürnberger Autors und Wundartzes Hans Folz, der zwischen 1479 und 1488 seine Werke fast vollständig über die eigene Presse publiziert hat. Diese Drucke weisen bereits frühe Formen des Titelblattes auf, die in der Forschung bisher nicht zur Kenntnis genommen wurden.

    Kooperation mit Münster

    Eine enge Zusammenarbeit ist mit Prof. Dr. Gabriele Müller-Oberhäuser vom Institut für Buchwissenschaft und Textforschung der WWU Münster vorgesehen. Sie wird das Korpus der Titelblätter für den englischsprachigen Raum ermitteln und bereitstellen.

    Für die Laufzeit des Projekts von Beginn des Jahres 2000 bis Ende 2001 hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft Sach- und Personalmittel zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus wird das Projekt vom Universitätsbund Erlangen-Nürnberg e.V. und der Horst-Kliemann-Stiftung, Frankfurt, unterstützt.

    * Kontakt:
    Prof. Dr. Ursula Rautenberg, Professur für Buchwissenschaft
    Harfenstr. 16, 91054 Erlangen, Tel.: 09131/85 -24700, Fax: 09131/29029
    E-Mail: Johanna.Gummlich@rzmail.uni-erlangen.de, Oliver.Duntze@rzmail.uni-erlangen.de


    Weitere Informationen:

    http://www.phil.uni-erlangen.de/~p1bbk/


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Kunst / Design, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Musik / Theater, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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