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Wissenschaft
Die Folgen neurobiologischer Forschung für das Verständnis von Schuld und Strafe
Einladung zur Podiumsdiskussion mit Jürgen Banzer (Hessischer Justizminister), Prof. Gerhard Roth (Neurobiologe), PD Klaus-Jürgen Grün (Philosoph); Dr. Michel Friedman (Publizist) und Dr. Ulrich Baltzer (Vorsitzender Richter am Landgericht Frankfurt am Main a. D.).
Moderation: Dr. Ulf Poschardt (Chefredakteur Vanity Fair Deutschland)
FRANKFURT. Wenn ein Straftäter in seiner Willensbildung zur Straftat nicht frei war, so ist er nach geltendem Recht nicht schuldig. Forscher wie der Neurobiologe Gerhard Roth (Bremen/Delmenhorst) können jedoch belegen, dass die Willensbildung von Straftätern im traditionellen Sinn nicht frei sein kann. Aus biologischen Gründen gilt, dass ein Straftäter umso weniger eine Alternative zu seiner Straftat hat wählen können, je verwerflicher seine Tat gewesen ist.
Wollten wir unser Strafrecht wörtlich nehmen, so wäre ausgerechnet der abscheulichste Täter am wenigsten schuldfähig und deswegen nicht strafbar. Genau das aber wünschen Opfer und deren Angehörige am wenigsten zu hören. Es steht nicht an, dass wir uns darin übertreffen, Gewaltverbrecher für schuldunfähig zu erklären. Vielmehr müssen wir darüber nachdenken, wie mit abweichendem Verhalten, mit Verbrechen, mit Normen- und Regelverstoß im Allgemeinen umzugehen ist. Während reaktionäre Stimmen immer schon ein schnelles Wegsperren von Gewalttätern fordern, sagt Gerhardt Roth: "Wichtiger sind Vorsorgemaßnahmen".
Zu wenig verstehen wir bislang die Motivation unserer menschlichen Handlungen. Nach heutigen psychologischen und neurowissenschaftlichen Konzepten der Handlungssteuerung kann es keine Handlung ohne Motive geben. Auch der Glaube an die Rechtsordnung oder die Furcht vor Strafe können zu starken Motiven werden. Wie dies geschieht, können uns Naturwissenschaftler heute erklären.
Die Erklärungen der Hirnforscher widersprechen jedoch der spekulativen Intuition philosophischer und theologischer Ethiker. Freie Entscheidungen sollen für Spezialisten der Moralphilosophie der wesentliche Auslöser moralisch wertvoller Handlung sein. Ihnen ist die Vorstellung unannehmbar, dass Motive des moralisch-ethischen Handelns aus der Natur des Menschen resultieren. Unser aller ethisch-moralisches Bewusstsein hängt an einem veralteten Paradigma. Es stützt sich auf den Übervater der deutschen Moralphilosophie Immanuel Kant. Er glaubte, dass eine ethische Tat allein diejenige ist, in welcher der aus reiner Vernunft gewonnene Wille unmittelbar unser Handeln bestimme. Genau diese Möglichkeit kann heute als widerlegt angesehen werden. Eine nüchterne Betrachtung der Gesellschaft zeigt, dass sie nicht wesentlich auf rationalen Strukturen, und schon gar nicht auf reiner Vernunft, sondern auf Emotionen und Gefühlen aufbaut.
Die Veranstalter planen keine gewöhnliche Konferenz, in der bekannte oder unbekannte Positionen bloß vorgetragen werden. Allein die Frage, was mit unserer Rechtsordnung geschieht, wenn es die im Grundgesetz festgeschriebene freie und bewusste Willensentscheidung gar nicht gibt, verletzt Gefühle und wühlt Emotionen auf. Eine rationale, endgültige Position ist in diesem Feld vorerst nicht zu gewinnen. Vielmehr scheint es nun geboten, in der Öffentlichkeit eine Gewöhnung an die ungewohnte Fragestellung zu fördern. Dabei sollen Missverständnisse ausgeräumt und Ängste aufgelöst werden.
Zur Podiumsdiskussion lädt das Institut für Philosophie der Universität Frankfurt gemeinsam mit dem Ronneburger Kreis ein. Es treten Philosoph, Neurowissenschaftler, Publizist sowie ein in der Anwendung des Strafrechts erfahrener Richter miteinander und mit dem Publikum in die Diskussion. Die vier Diskutanten stellen ihre Überlegungen zum Umgang mit dem naturwissenschaftlichen Paradigma vor und zeigen, dass von Verantwortung, Recht und Rechenschaft auch dann sinnvoll zu sprechen ist, wenn wir auf traditionelle Konzepte der Willensfreiheit verzichten. Die Auseinandersetzung mit kritischen Fragen soll zudem zeigen, wie sich die Rechtspraxis zur Theorie der Moral (Ethik) verhält; welche Gefahren für unser moralisches Empfinden tatsächlich bestehen; wie uns die Kenntnisse der Hirnphysiologie behilflich sein können, eine angemessene Ethik auf naturwissenschaftlicher Basis zu formulieren, statt realitätsfremde Spekulationen zur moralischen Norm zu erklären.
Wann?
27. April 2007, 13 bis 18 Uhr
Wo?
Aula, Campus Bockenheim, Mertonstr. 17,
60325 Frankfurt am Main
Der Eintritt ist frei.
Informationen: PD Klaus-Jürgen Grün, Institut für Philosophie, Tel.: (069) 798-32805 / (06186) 905883, Mail: kgruen@philkoll.de / Gruen@em.uni-frankfurt.de.
http://www.uni-frankfurt.de/fb/fb08/phil/lehrende_index/index.html/
http://www.ronneburger-kreis.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Philosophie / Ethik, Politik, Recht, Religion
überregional
Buntes aus der Wissenschaft
Deutsch
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