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13.05.2008 12:06

Ein Frankfurter Publizist und seine Muse

Dr. Anne Hardy Marketing und Kommunikation
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt (Main)

    Der Briefwechsel von Ludwig Börne und Jeanette Wohl spiegelt die komplizierte Beziehung zwischen dem politisch verfolgten Verfasser der "Briefe aus Paris" (zur Julirevolution 1830) und seiner wichtigsten Bezugsperson in der Frankfurter Heimat. Die in der Universitätsbibliothek Frankfurt erhaltenen Briefe sind im Rahmen eines DFG-geförderten Projekts digitalisiert worden und nun über das Internet zugänglich.

    FRANKFURT. Ludwig Börne (1786-1837), der Sohn eines jüdischen Frankfurter Bankiers, war einer der einflussreichsten Publizisten seiner Zeit. Mit seinem Hauptwerk, den "Briefen aus Paris", wehte 1831 der Geist der Julirevolution nach Deutschland. Die Quelle seiner Inspiration war die ebenfalls im Frankfurter Ghetto aufgewachsene Jeanette Wohl. Von 1816, als sie sich kennen lernten, bis zu Börnes Tod, war sie seine wichtigste Bezugsperson. Die facettenreiche Beziehung, die in den letzten Jahren in eine Menage à trois mit Jeanette Wohls Ehemann in Paris mündete, spiegelt sich in der umfänglichen Korrespondenz, die in der Universitätsbibliothek Frankfurt aufbewahrt wird. Dank einer mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft realisierten Restauration und Digitalisierung sind die Briefe jetzt über das Internet zugänglich.

    Börnes publizistische Karriere begann nach dem abrupten Ende seiner Tätigkeit als Polizeiaktuar der Stadt Frankfurt. Während der napoleonischen Zeit hatte es eine Liberalisierung der Judenpolitik gegeben, doch als 1815 mit der Restauration die alten, restriktiven Gesetze wieder in Kraft traten, wurde der 29-Jährige kurzfristig entlassen. Louis Baruch, wie er damals noch hieß, ließ sich daraufhin taufen, änderte seinen Namen und führte eine spitze Feder, die Aufmerksamkeit erregte und bald das wachsame Auge der Zensur auf sich zog. Die von ihm gegründete Zeitschrift "Wage", für die er als Redakteur, Herausgeber und Autor allein verantwortlich war, wurde ein großer Erfolg, vor allem aufgrund der brillanten Essays und witzigen Theaterkritiken, in denen Börne Bezüge zu gesellschaftlichen und tagespolitisch aktuellen Vorkommnissen herstellte.

    Seine Mitarbeit bei der "Zeitung der freien Stadt Frankfurt" (Juni bis September 1819) und der in Offenbach erscheinenden "Zeitschwingen" führte zu häufigen Zusammenstößen mit der Zensur. Der Ruf seiner temperamentvoll geschriebenen liberal-progressiven Artikel drang bis nach Wien und erregte sogar das Interesse des Fürsten Klemens von Metternich. Im März 1820 wurde Börne verhaftet, kurze Zeit später aber wegen Unhaltbarkeit der Anklage wieder entlassen.

    Jeanette Wohl sorgte sich von Anfang an um Börnes körperliches und geistiges Wohl. Sie war eine aufrichtige Kritikerin seiner Werke, spornte ihn zum Schreiben an, mahnte zur Schonung, wenn sein Lungenleiden in eine akute Phase trat, teilte seine Sorgen und regelte für ihn Streitigkeiten mit dem Vater, der die publizistische Karriere seines Sohnes ablehnte. Als er 1819 vor der Zensur nach Paris floh, schrieb er wehmütig an die Frankfurter Freundin: "Sie waren die Hälfte meines Geistes und diese Hälfte ist von mir gewichen."

    Warum die zeitweise geschmiedeten Heiratspläne nicht realisiert wurden, darüber können die Biografen nur spekulieren, zumal ein Großteil der Briefe Wohls aus diesen Jahren fehlt - möglicherweise auch bewusst von ihr vernichtet wurde. Christa Walz, die den Briefwechsel analysiert hat, vermutet, Jeanette Wohl, die Börne besser kannte als er sich selbst, habe gewusst, dass letztlich nur eine geistige Lebensgemeinschaft ihre Freundschaft vor Abnutzung und Verschleiß bewahren konnte.

    1832 heiratete Jeanette Wohl den 12 Jahre jüngeren jüdischen Kaufmann Salomon Strauß. Im Vorfeld der Eheschließung gab es heftige gefühlsmäßige Verwicklungen, als Jeanette Wohl ihrem zukünftigen Ehemann erklärte, sie könne sich eine Lebensgemeinschaft nur unter Einbeziehung von Börne vorstellen. Strauß bekannte gegenüber Börne: "Ich weiß recht gut, daß das [Verhältnis] nur geistig ist; aber was ändert das, wenn ich befürchten muss, daß, sobald Ihnen was fehlt, sie gleich fortläuft, zu Ihnen zu kommen?"

    Die Lösung war eine gemeinsame Wohnung, die alle drei im November 1833 in Paris bezogen. Dort lebten sie bis zu Börnes Tod im Jahr 1837. Jeanette Wohl gab gemeinsam mit ihrem Ehemann von 1844 bis 1850 Börnes "Nachgelassene Schriften in sechs Bänden" heraus, darunter auch bisher ungedruckte private Teile seiner Pariser Briefe. Allerdings eliminierte sie allzu persönliche Stellen und machte Namen von Privatpersonen unkenntlich. Bei der Transkription der originalen Briefe, die derzeit zur Vorbereitung einer Edition stattfindet, könnte sich also noch die eine oder andere Überraschung ergeben.

    Lesen Sie mehr in der neuen Ausgabe von Forschung Frankfurt.
    Kostenlos bestellen: steier@pvw.uni-frankfurt.de

    Informationen:
    Dr. Wilhlem R. Schmidt, Tel.: 069/798-39229, w.r.schmidt@ub.uni-frankfurt.de, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main.


    Weitere Informationen:

    http://www.forschung-frankfurt.uni-frankfurt.de/dok/2008/2008-01/Frankfurter_Pub...
    http://edocs.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2007/9999999/


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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