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In einer der größten Unternehmungen der Paläontologie haben FU-Wissenschaftler zehn Jahre lang eine Kohlenmine betrieben - einzig zum Sammeln von Fossilien. Dabei fanden sie Überreste von kleinen Säugetieren, unseren frühen landlebenden Vorfahren.
Wer vor 150 Millionen Jahren in der Nähe des Städtchens Leiria (Portugal) spazieren ging, wäre bald an einen Küstensumpf gelangt. "Hier stehen wir an der Küste des Protonordatlantik", beschreibt Thomas Martin vom Institut für Paläontologie der FU Berlin die Szenerie. Ein Bild der westeuropäischen Küste zeigt, wo gerade der Kontinent Nordamerika begonnen hatte, sich von Europa abzulösen. An dieser geschützten Stelle, im Schachtelhalmdickicht und zwischen grossen Farnen hätte man eine Art Jurassic Park beobachten können, der von kleinen Säugetieren bewohnt war, den Vorfahren von Spitzmaus und Maulwurf. Wie ihr Lebensraum damals ausgesehen hat, ist keine Phantasie der Paläontologen, sondern ein originalgetreues Bild, das sie anhand von Fossilienfunden aus der Kohlengrube Guimarota am Stadtrand von Leiria rekonstruiert haben. Allein zur Bergung von Fossilien betrieben Wissenschaftler die Mine zehn Jahre lang - eine der grössten Unternehmungen in der Geschichte der Paläontologie. Die FU-Wissenschaftler Prof. Bernard Krebs und Dr. Thomas Martin haben nun das Buch "Guimarota - a jurassic ecosystem" herausgegeben. Es fasst die Ergebnisse aus drei Jahrzehnten interdisziplinärer Forschung zusammen, die insbesondere neue Erkenntnisse über die Evolution der Säugetiere verspricht.
Die Kohlengrube Guimarota, etwa 120 km nordöstlich von Lissabon, liegt mittlerweile 20 km im Landesinneren. Die Fundstelle ist einzigartig. Hier versanken zehntausende von Jahren lang die Überreste von Flora und Fauna ungestört im Schlamm. Unter Sauerstoffabschluss verwandelte sich der Sumpf allmählich in Kohle. Niemand ahnte, dass sich hier eine der grössten Lagerstätten für Säugetierfossilien aus dem Jura, einem Zeitabschnitt des Erdmittelalters befand. Aus dieser Epoche fand man nur eine Handvoll Fossilien in Nordamerika, "bis zur Entdeckung der Kohlengrube Guimarota hatten alle Funde von frühen Säugetierfossilien auf der ganzen Welt in einem einzigen Schuhkarton Platz", erzählt Thomas Martin. In den fünfziger Jahren waren in Guimarota eher zufällig Fossilien entdeckt worden. Anfang der Siebziger beschlossen dann die FU-Wissenschaftler Krebs und Henkel, die inzwischen stillgelegte Mine einzig für wissenschaftliche Zwecke wieder in Gang zu bringen. Von 1973-1982 hat man in Guimarota systematisch Fossilien eines vollständigen Ökosystems aus dem Jura gesammelt. Die Funde enthielten dabei alle vorstellbaren Überreste von Tieren und Pflanzen: von der winzigen Spore einer Farnpflanze bis zum Überrest eines 9 m langen Krokodils.
Besonders aufsehenerregend sind jedoch die Säugetierfossilien. "Der Star unter den Funden ist das Henkelotherium", erzählt Martin. Die fossilen Überreste wurden als komplett zusammenhängendes Skelett gefunden - eine Seltenheit. Das etwa mausgroße Tier ernährte sich von Insekten, deren Panzer es mit seinen spitzen Zähnen mühelos aufknacken konnte. Beim Herumklettern auf Bäumen half ihm ein langer Schwanz. Und der Winzling liefert wichtige Anhaltspunkte zur Evolution von Säugetieren. "Wenn man heutige und fossile Merkmale vergleicht, dann kann man beispielsweise zurückverfolgen, wie sich die Gelenke und die Biomechanik der Säuger entwickelt haben", erläutert Martin. Das sei besonders wichtig, denn "molekularbiologische und biochemische Methoden sind dafür schlecht geeignet." Evolutionsraten, d.h. wie sich eine Art im Laufe der Jahre weiterentwickelt und verändert, kann man aus den Genen zurückrechnen. "Diese molekulare Uhr läuft aber unregelmässig", erklärt Martin. In welchem Rhythmus die Evolution die Arten verändert hat, können dagegen morphologische Studien an Fossilien zeigen, wie z.B. den Säugern von Guimarota. Paläontologen und Molekularbiologen müssen also zusammenarbeiten, dabei, so betont der Paläontologe, "erhält man die besten Ergebnisse im gegenseitigen Dialog." Er habe sogar schon einmal daran gedacht, ähnlich wie im Film Jurassic Park z.B. aus Knochenresten DNA zu isolieren, wobei es natürlich unmöglich sei, aus wenigen Bruchstücken des Erbguts prähistorische Tiere wieder zum Leben zu erwecken. "Eine Sensation wäre eine 150 Millionen Jahre alte DNA natürlich trotzdem", meint Martin, denn die bisher älteste gefundene DNA aus dem Tertiär ist lediglich 10 Millionen Jahre alt.
(5500) Wörter
Steffi Barbirz
Literatur: Thomas Martin, Bernard Krebs (Hgg.), Guimarota - a jurassic ecosystem, 156 S., zahlreiche farbige Abbildungen, Verlag Dr. Friedrich Pfeil, München 2000; ISBN 3-931516-80-6
Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
PD Dr. Thomas Martin, Institut für Paläontologie der FU Berlin, Malteserstraße 74-100, Haus D, 12249 Berlin, Telefon: 838 70 276, E-Mail: tmartin@zedat.fu-berlin.de;
Internet: http://userpage.fu-berlin.de/~palaeont/
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geowissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
Deutsch
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