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19.01.2001 11:46

Olympiasieger Dieter Baumann zieht Zwischenbilanz

Klaus Walter Stabsstelle Hochschulkommunikation
Philipps-Universität Marburg

    Sportrechtliche Diskussion zur Dopingbekämpfung in der Marburger Universität

    In einer Veranstaltung des Instituts für Kriminalwissenschaften der Philipps-Universität Marburg wird der wegen Dopingbefunden angeschlagene Olympiasieger Dieter Baumann erstmals eine Zwischenbilanz ziehen. Die sportrechtliche Veranstaltung, die gemeinsam mit den studentischen Fachschaften Jura und Sport durchgeführt wird, trägt den Titel "Dopingbekämpfung: Athleten ohne Rechte? - Der Olympiasieger Dieter Baumann über seinen Langstreckenlauf auf der Suche nach Gerechtigkeit". Sie findet am Donnerstag, 25. Januar 2001, um 20 Uhr im Hörsaal 101 des Landgrafenhauses, Universitätsstraße 7, statt.

    Es ist das erste Mal, dass Dieter Baumann einen geschlossenen Vortrag mit Reflexionen über seinen Fall und die daraus zu ziehenden sportpolitischen Konsequenzen hält. Er tut dies zu einem Zeitpunkt, da die Verbandgerichtsbarkeit - der Rechtsausschuss des Deutschen Leichtathletikverbandes (DLV) - die Sperrentscheidung der IAAF zwar für rechtswidrig erklärt, aber nicht mehr selbst weiterhelfen kann.

    Die Aktivitäten von Dieter Baumann sind eingebunden in ein sportstrafrechtliches Seminar an der Universität Marburg, das das Problem der Anti-Doping-Bekämpfung grundlegend von der Ursache des Doping bis zu rechtlichen Reformfragen behandelt. Selbstverständlich steht Dieter Baumann auch zu Interviews zur Verfügung.

    Seminar zum Sportrecht in Wetzlar

    Der Vortrag von Dieter Baumann - ergänzt ein wissenschaftliches Seminar von etwa 30 Jura-Studenten des Instituts für Kriminalwissenschaften der Philipps-Universität Marburg unter der Leitung von Professor Dieter Rössner. In der Jugendherberge Wetzlar, Richard-Schirrmann-Str. 3, wird das kriminologisch-sportrechtliche Seminar zum Thema "Doping im Sport" von Freitag, 26.1.2001, 10 Uhr, bis Samstag, 27.1.2001, gegen 12 Uhr stattfinden. Die vorgesehenen Referate reichen von den kriminalitätstheoretischen Ansätzen zur Erklärung des Doping im Sport, den Strukturen des Dopingmarktes und dem Dunkelfeld über die staatliche Kontrolle des Doping durch alte und neue Straftatbestände bis zur Sportgerichtsbarkeit und ihrem Verhältnis zu staatlicher Justiz sowie die Entwicklung eines differenzierten Dopingbekämpfungssystems unter Beachtung unverzichtbarer Athletenrechte. Schließlich geht es noch um Dopingopfer insbesondere unter dem Aspekt des Dopings als Staatskriminalität der ehemaligen DDR.

    Ziel des Seminar ist es, die Strukturen, rechtlichen Rahmenbedingungen und präventiven Voraussetzungen für einen sauberen Sport natürlicher Leistung zu erfassen und Vorschläge für einen fairen Weg dorthin zu machen. Die Autonomie des Sports soll selbstverständlich dabei berücksichtigt werden.

    Dieter Baumann wird dieses Seminar besuchen und mit seinen Erfahrungen, Reflexionen und Kenntnissen im Sportrecht ein anregender Teilnehmer sein.

    Hintergrundinformationen zum Fall Baumann

    Am 17.11.1999 wurde Dieter Baumann - der meistbekannte deutsche Langstreckenläufer und Anti-Doping-Kämpfer des deutschen Sports - durch den objektiven Befund in zwei Urinproben mit knapp über 20 ng/ml Norandrostesteron aus Trainingskontrollen im Oktober bzw. November zum spektakulären Dopingfall. Da Dieter Baumann sich sicher ist, dass er sich keine unerlaubten Dopingmittel zugeführt hat, gibt es für ihn von Anfang an bis heute nur den Weg, seine Unschuld zu beweisen.

    Früh ergeben sich Hinweise auf einen geplanten und raffinierten Anschlag: Mitarbeiter des Kölner Instituts für Biochemie finden nach eingehender Suche zwei mit Norandostendion raffiniert und fachmännisch präparierte Zahnpastatuben, deren Inhalt - wie es sich in späteren Versuchen herausstellt - bei normalem Zähneputzen einerseits genau zu den Konzentrationen der Urinproben führt und andererseits niemals ausreichen würde, eine wirksame Leistungssteigerung zu bewirken. EPO hätte Dieter Baumann sich völlig unkontrolliert und im Ergebnis hochwirksam zuführen können. Sinn macht das Geschehen so nur unter dem Blickwinkel eines Anschlags. Die tägliche Zuführung des Mittels in der Zahnpasta musste aus Sicht der Täter früher oder später einen positiven Befund bei dem laufend kontrollierten Athleten führen. Konsequent erstattet Dieter Baumann Anzeige bei der Staatsanwaltschaft. Im Rahmen dieser Ermittlungen und weiterer eigener Aufklärungen durch den Athleten ergibt sich eine lückenlose Indizienkette für seine Unschuld. Dieter Baumann hat sich als "gläserner" Athlet jeder Untersuchung gestellt. Die Haaranalyse, mit der man wirksame Einnahmen von Nandrolon im vorausgegangenen Jahr sicher nachweisen kann, brachte ein negatives Ergebnis. Jede systematische Leistungssteigerung hätte sich hier niederschlagen, nicht aber die nur im Urin nachweisbaren geringen Dosen vom Zähneputzen. Die wissenschaftlich abgesicherte physio-psychologische Untersuchung mit dem Lügendetektor ergab für Dieter Baumann höchste Glaubwürdigkeitswerte und bestätigt die objektiven Erkenntnisse.

    Das hilft ihm zunächst alles nichts. Im Dopingverfahren des DLV geht es nur um den objektiven Befund. Die Berücksichtigung der individuellen Verantwortlichkeit würde angeblich das Ende der verbandsrechtlichen Dopingbekämpfung bedeuten. So bleibt der Athlet bis zum 23.6.2000 gesperrt.

    Eine Wende nimmt das Doping-Verfahren gegen Dieter Baumann durch ein Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 28.5.2000 und die Rückbesinnung auf die schon früher im Krabbe-Urteil vom DLV-Rechtsausschuss herausgearbeiteten rechtsstaatlichen Mindeststrafordnungen an Sanktion im Verbandsrecht: Keine Strafe ohne Schuld, allenfalls Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises beim objektiven Dopingbefund.

    In diesem Sinne gelangt der mit drei Juristen besetzte unabhängige Rechtsausschuss des Deutschen Leichtathletikverbandes DLV am 13.7.2000 nach eingehender Prüfung aller Indizien zu der Auffassung, dass der engagierte Doping-Kämpfer mit hoher Wahrscheinlichkeit Opfer eines Anschlags war und spricht Dieter Baumann frei.

    Auf Anhieb und wie zum Beweis der Entscheidung am grünen Tisch, erfüllt er mit seiner natürlichen Leistungskraft die Olympianorm und gewinnt die Deutsche Meisterschaft.

    Obwohl die Entscheidung des Rechtsausschusses nach § 6 der Verfahrensordnung rechtskräftig und unanfechtbar ist, setzt sich die Internationale Sportgerichtsbarkeit - das Arbitration Panel der IAAF - über alle anerkannten rechtsstaatlichen Prinzipien hinweg. In Sydney während der Zeit des olympischen Friedens verhängt das IAAF-Schiedsgericht die Sanktion einer zweijährigen Sperre, die sogar dem eigenen Regelwerk widerspricht. Rechtliche Prinzipien, Fairness und die Würde eines Sportlers werden geopfert, um scheinheilig Härte im Anti-Doping-Kampf zu demonstrieren: Die Entscheidung ergeht ohne ordentliches Verfahren gegen Dieter Baumann, ohne Rechtgrund und unter Verletzung von Menschenrechten hinsichtlich des Schuldprinzips. Das Internationale Sportschiedsgericht (TAS) bestätigt das Urteil.

    Obwohl der DLV in Sydney das Vorgehen der IAAF als rechtswidrig angegriffen hat, hält er sich an die Entscheidung der IAAF und sperrt Dieter Baumann auch in Deutschland, ja erkennt ihm sogar die regulär gewonnene deutsche Meisterschaft ab. Der DLV tut dies, obwohl man genau weiß und in Sydney erklärte, dass die Sperre aufgrund des strict-liability-Prinzips gegen nationales deutsches Recht verstößt. Gelten für Sportler diese Rechte nicht?

    Darauf antwort der Rechtsausschuss des DLV am 22.12.2000 mit der Feststellung, dass die Entscheidung der IAAF von Sydney "rechtsstaatsfeindlich" und daher unverbindlich ist. Er sieht sich aber außerstande, sie zu beseitigen und verweist insoweit auf die deutsche staatliche Gerichtsbarkeit als letztes Mittel.

    Die Verbandgerichtsbarkeit und Vereinsautonomie am Ende? Dieter Baumann und seine Mitstreiter rat- und hilflos ?

    In seinem Marburger Vortrag zieht Dieter Baumann erstmals eine Zwischenbilanz - rechtlich und menschlich - auf seinem langen Weg zur Gerechtigkeit, der nun im zweiten Akt in die staatliche Gerichtsbarkeit und damit endgültig in rechtsstaatliche Bahnen führt. Sein Bericht geht Juristen im Blick auf den Geburtsprozess eines neuen Sportrechts ebenso an wie Sportinteressierte, denen die Athleten und ihre Recht nicht gleichgültig sind.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Politik, Recht, Sportwissenschaft
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft
    Deutsch


     

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