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05.03.2001 15:32

Theodor Wolff. Ein Leben mit der Zeitung

Ilka Seer Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Die Namen des Historikers Prof. Dr. Bernd Sösemann von der Freien Universität Berlin und Theodor Wolff, Chefredakteur des Berliner Tageblatts scheinen auf untrennbare Weise miteinander verbunden. Seit nunmehr dreißig Jahren beschäftigt sich Sösemann in Forschung und Lehre mit Theodor Wolff. Auch wenn der Name Theodor Wolff im jährlich vom "Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger" vergebenen Journalistenpreis weiterlebt, so ist er den meisten Preisträgern wie auch der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Sösemann legte nun mit dem Buch "Theodor Wolff - Ein Leben mit der Zeitung" eine Biographie vor, die den erhaltenen privaten Nachlass auswertet und auf sämtliche erschlossene Aufzeichnungen, Artikel und Tagebücher zurückgreift. Es entstand ein quellennah gezeichnetes Portrait, das Theodor Wolffs Leben in den unterschiedlichen Zeitumständen beleuchtet.

    Begeistert erzählt der Berliner Historiker Prof. Dr. Sösemann in seinem Büro im Friedrich-Meinicke-Institut der Freien Universität Berlin von Theodor Wolff, einem Mann, von dem er sichtlich sehr fasziniert und angetan ist. Sösemann veröffentlichte bereits die zweibändige Edition der "Tagebücher 1914-1919" (1984) und die drei Bände "Der Journalist "(1993), "Der Publizist" (1995), "Der Chronist" (1997) - ausgewählte Leitartikel, Aufzeichnungen, Gedichte und Feuilletons, die einen wunderbaren Einblick in Wolffs Schaffen gewähren. Nun folgte die Biographie "Theodor Wolff - Ein Leben mit der Zeitung".

    Bereits 1978 schrieb Wolfram Köhler ein Portrait über diesen außergewöhnlichen Journalisten - bei weitem jedoch nicht so umfassend und aufschlussreich. Sösemann hatte Zugang zu bisher nicht erforschten Quellen und schaffte es vor allem, die Person Wolff in den geschichtlichen Zusammenhang mit dem Kaiserreich, dem Ersten Weltkrieg, der Weimarer Republik und dem "Dritten Reich" zu stellen.

    Im Sommer 1887 begann Wolff eine Lehre als kaufmännischer Auszubildender im Verlag seines Cousins Rudolf Mosse. Ursprünglich fühlte er sich zum Dichter berufen und erst als ihm der begehrte Posten des Paris-Korrespondenten angeboten wurde entschied er sich endgültig für den Journalismus. Besonders seine präzise Berichterstattung zu den Dreyfuss-Zola-Prozessen machten ihn nicht nur in Frankreich und Deutschland bekannt. Er sorgte auch mit seinen täglich bis zu sechs Telegrammen zu diesem Prozess für eine ungewöhnliche Dramatik in der Berichterstattung. Rudolf Mosse bot ihm 1906 den Posten des Chefredakteurs des "Berliner Tageblatts" (BT) an. In den darauf folgenden 26 Jahren etablierte Wolff als unumstrittene Autorität das Berlliner Tageblatt als fortschrittlich-liberales Hauptblatt Deutschlands, dessen Auflage während seiner Amtszeit als Chefredakteur von 100 000 auf eine viertel Million stieg. Der montägliche Leitartikel "lundi" war, auch wegen seiner Brillanz und Pointiertheit in Sprache und Ausdruck, Wolffs Markenzeichen. Selten reichte dafür die erste Seite aus - oft benötigte er dafür noch zwei weitere Spalten auf der zweiten Seite. Eigenwillige Charaktere waren in den unterschiedlichen Ressorts nicht nur erwünscht, sondern wurden von Wolff gefördert, denn war sich sicher, dass eine Zeitung nur dann ein eigenes Profil ausbilden kann, wenn sich deren Mitarbeiter frei und kontrovers entfalten konnten. Als Chefredakteur war es Wolff ein Anliegen, seine eindeutige liberale Position in der politischen Entwicklung zu beziehen und gegen "Dummheit, Rückgratschwäche und Furcht" zu schreiben. Er warnte auch eindringlich vor dem Extremismus von links wie rechts: "Es ist mir egal, ob ich den linken oder rechten Stiefel in meinem Nacken spüre."

    Inspiriert von der französischen Demokratie und des dortigen Parlamentarismus gründete er im November 1918 zusammen mit Alfred Weber und Otto Fischbeck die "Deutsche Demokratische Partei". Aber schon nach einem Jahr praktischer Erfahrung mit dem Parteileben besinnt sich Theodor Wolff wieder auf seine redaktionelle Arbeit. 1926 trat der glühende Verfechter der Pressefreiheit schließlich ganz aus der Partei aus, enttäuscht darüber, dass ausgerechnet ein Minister der eigenen Partei den Antrag des sogenannten "Schmutz- und Schund- Gesetzes" vertritt, einem Gesetz zur Beschränkung der Pressefreiheit.

    Nach dem Reichstagsbrand flüchtet Wolff im März '33 - er steht schon seit langer Zeit auf den Mordlisten völkisch-rechtsradikaler Truppen - ins südfranzösische Exil nach Nizza. Auch dort kann er nicht aufhören zu schreiben: mit Disziplin setzt er sich noch jeden Morgen an den Schreibtisch und schreibt neben einem weiteren Band seiner Memoiren auch über das deutsch-jüdische Verhältnis, wobei er, als Jude, für die Aussöhnung von Juden und Deutschen auch nach dem Krieg plädiert. Das Berliner Tageblatt liest er kaum noch und nachdem das Blatt die Nacht des sogenannten "Röhn-Putsches" 1934 mit der Überschrift "Durchgegriffen" gefeiert hatte, legte er es für immer zur Seite.

    Im Mai 1943 wird der 75-Jährige von italienischen Beamten verhaftet und an die Gestapo ausgeliefert. Nach einer Odysee durch Lager und Gefängnisse stirbt er am 23. September 1943 im jüdischen Krankenhaus in Berlin.

    Sösemann studierte an der Göttinger Georgia Augusta Universität Geschichte, Deutsche Philologie sowie Pädagogik und schloß 1970 mit dem ersten Staatsexamen ab. 1974 promovierte er mit einer Arbeit über liberale Publizistik in der Endphase der Weimarer Republik. Die Freie Universität Berlin erteilte ihm 1985 die venia legendi für die Geschichte der öffentlichen Kommunikation und der Publizistikwissenschaft. S. richtete dort als Direktor des Instituts für Publizistik den neugegründeten Lehrstuhl für Kommunikationsgeschichte ein und leitet die dem Lehrstuhl angegliederte Arbeitsstelle für Kommunikationsgeschichte und interkulturelle Publizistik. Im Juli 1988 gründete er das "Institut für Kommunikationsgeschichte und angewandte Kulturwissen-schaften" der FU Berlin.
    Sösemann ist seit 1989 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft zur Preußischen Geschichte, Mannheim, und Mitglied der Preußischen Historischen Kommission, Berlin. 1986 wurde er in die Berliner Wissenschaftliche Gesellschaft gewählt. Er führt zudem seit 1989 den Vorsitz der Deutsch-Griechischen Gesellschaft, Berlin.

    von Bernd Wannenmacher

    Literatur:
    Bernd Sösemann, Theodor Wolff - Ein Leben mit der Zeitung, München: Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG, 2000

    Weitere Informationen erteilt Ihnen gerne:
    Univ.-Prof. Dr. Bernd Sösemann, Freie Universität Berlin, Fachbereich Politik- und Sozialwissen-schaften, Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften, Malteserstr. 74-100, 12249 Berlin, Tel.: 030 / 838-70448 und 838-54519, Fax: 776 22 13, E-Mail: soeseman@zedat.fu-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Medien- und Kommunikationswissenschaften, Sprache / Literatur
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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