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12.10.2001 07:37

Ungefilterte Wiedergabe der Gefühlswelt

Gabriele Rutzen Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    Im Laufe des 19. Jhs. bildet sich in der deutschsprachigen Kinderliteratur der Modus des unmittelbaren Erzählens aus. Die offensichtliche Lenkung durch eine Erzählinstanz, die alles Berichtete kommentiert und bewertet, wird zurückgenommen; stattdessen werden die Geschehnisse aus den Wahrnehmungsperspektiven der fiktiven, oftmals weiblichen Figuren beschrieben. Stärker als bisher fließen deren Empfindungen in die Erzählung ein. In diesem Entwicklungsprozeß nehmen fiktive Briefe als Bestandteil literarischer Texte eine entscheidende Stellung ein. Dies ist das Ergebnis einer von Dr. Jutta Krienke an der Arbeitsstelle für Leseforschung und Kinder- und Jugendmedien der Universität zu Köln (ALEKI) vorgelegten Untersuchung.

    132/2001

    Ungefilterte Wiedergabe der Gefühlswelt
    Briefe in der Kinderliteratur des 19. Jhs.

    Im Laufe des 19. Jhs. bildet sich in der deutschsprachigen Kinderliteratur der Modus des unmittelbaren Erzählens aus. Die offensichtliche Lenkung durch eine Erzählinstanz, die alles Berichtete kommentiert und bewertet, wird zurückgenommen; stattdessen werden die Geschehnisse aus den Wahrnehmungsperspektiven der fiktiven, oftmals weiblichen Figuren beschrieben. Stärker als bisher fließen deren Empfindungen in die Erzählung ein. In diesem Entwicklungsprozeß nehmen fiktive Briefe als Bestandteil literarischer Texte eine entscheidende Stellung ein. Dies ist das Ergebnis einer von Dr. Jutta Krienke an der Arbeitsstelle für Leseforschung und Kinder- und Jugendmedien der Universität zu Köln (ALEKI) vorgelegten Untersuchung.

    Briefe fungieren als lebendiges, "authentisches" und unvermittelt wirkendes Kompositionselement. Sie erwecken den Anschein, als seien die Ereignisse ohne Einsatz einer Erzählinstanz berichtet und ermöglichen eine quasi ungefilterte Wiedergabe der Gefühlswelt der einzelnen Figuren. Indem mehrere Akteurinnen und Akteure in einem Werk als Briefeschreiberinnen und -schreiber eingesetzt werden, können unterschiedliche Sichtweisen auf die Handlung eingebracht werden. Nach Auffassung der Kölner Erziehungswissenschaftlerin gewährt dieser Aufbau verschiedener Standpunkte den Leserinnen und Lesern eine größere Interpretationsfreiheit, so daß das Gefühl des Gelenktwerdens durch eine allwissende Erzählerinstanz zurücktritt.

    Der Grad der erzeugten Unmittelbarkeit kann je nach Art der eingesetzten Briefe durchaus unterschiedlich sein. Er ist umso höher, je einfacher den kindlichen Leserinnen und Lesern die Identifikation mit den schreibenden Figuren gemacht wird und je weniger der Brief auf pragmatisch-didaktische Zwecke hin ausgelegt ist. In derartigen Texten agieren die Briefeschreiberinnen und -schreiber nicht primär als Identifikationsfiguren, sondern vielmehr als erklärende Instanzen oder Vorbilder. Der Brief dient hier als Medium zur Überbringung der gewünschten Lehre. In literarischen Texten hingegen, in denen die belehrende zugunsten der unterhaltenden Funktion in den Hintergrund tritt, berichten die briefeschreibenden Charaktere von alltäglichen Ereignissen und zeigen Reaktionen bzw. Gefühle, die für kindliche Rezipientinnen und Rezipienten unmittelbar nachvollziehbar sind.

    Auch die Art und Weise, wie die jeweiligen Briefe in den Text eingebunden sind, entscheidet über den Eindruck der Unmittelbarkeit. Meist ist im erzählerischen Umfeld eines Briefes die Verlangsamung der Erzählgeschwindigkeit zu beobachten. Durch deren Angleichung an die Lesegeschwindigkeit kann der Leserin bzw. dem Leser eher das Gefühl vermittelt werden, das Geschehen direkt mitzuerleben. Weiterhin ist von Bedeutung, ob die Briefe innerhalb des Textes eine handlungsmotivierende Wirkung ausüben. Je stärker die fiktiven Empfängerinnen und Empfänger auf die Nachricht reagieren und je entschlossener sie aufgrund des Briefes selbst aktiv werden, desto größer ist die - scheinbare - Zurückhaltung der Erzählinstanz und desto nachhaltiger ist der Eindruck, dem Geschehen unvermittelt beizuwohnen.

    Neben Briefen können auch das Herabsetzen der Erzählgeschwindigkeit und das Verwenden von Dialogen oder erlebter Rede beim Leser das Gefühl eines unmittelbaren Miterlebens erzeugen. Für das 19. Jh. jedoch und gerade für die Anfänge unmittelbaren Erzählens ist der Brief nicht zuletzt wegen seines starken Bezugs zur Kommunikations-Kultur dieser Zeit von Bedeutung: Briefeschreiben gehörte damals zum Bildungs- und Erziehungskanon im gehobenen Bürgertum, so daß das lesende Kind, selbst zum Verfassen von Briefen angehalten, den fiktiven Pendants mit gesteigertem Interesse begegnete.

    Verantwortlich: Dr. Wolfgang Mathias

    Für Rückfragen steht Ihnen Professor Dr. Bettina Hurrelmann unter der Telefonnummer 0221/470-4063, der Faxnummer 0221/470-5197 und unter der Email-Adresse bettina.hurrelmann@uni-koeln.de zur Verfügung.
    Unsere Presseinformationen finden Sie auch im World Wide Web (http://www.uni-koeln.de/organe/presse/pi/index.html).
    Für die Übersendung eines Belegexemplares wären wir Ihnen dankbar.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Pädagogik / Bildung, Sprache / Literatur
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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