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21.12.2001 11:03

Maria - Tochter Sion? Mariologie, Marienfrömmigkeit und Judenfeindschaft

Hedwig Görgen Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Freie Universität Berlin

    Die Marienfrömmigkeit bildet einen der Eckpfeiler des Katholizismus, die Mariologie eines der christologischen, ekklesiologischen und eschatologischen Themen der Theologie. Wie sieht der Zusammenhang zwischen Mariologie und Judenfeindlichkeit im innerkirchlichen Kontext und in der Rezeption von Mariologie und Marienfrömmigkeit aus? Indem die Jüdin Maria den Gottessohn gebiert, steht sie - so eine traditionelle Auffassung - am Anfang des Endes des Alten Bundes. Die Judenfeindlichkeit des Christentums ist keine Fußnote der Kirchengeschichte, daher ist es geboten, die Position der ecclesia catholica zu untersuchen. Johannes Heil und Rainer Kampling/FU Berlin zeigen in dem vorliegenden Sammelbuch den Antagonismus Marienfrömmigkeit und Judenfeindlichkeit durch die Jahrhunderte auf.

    Das Christentum als Produkt des Judentums versuchte sich von ihm abzugrenzen: Der Antijudaismus ist das Ergebnis christlicher Vorurteile. Das Bild Marias als frommer Tochter Israels wurde dem biblischen Kontext entfremdet "... die Jüdin, aus deren Fleisch er geboren wurde": Durch die Geburt des Gottessohnes wurde sie die Vollenderin der Geschichte des Gottesvolkes, ähnlich dem Judesein Jesus innerhalb der Soteriologie.

    Noch während der Verfolgungen beschrieb Tertullian die Lage des Judentums post christum durch den Verlust des Status als Volk Gottes und Maria als Werkzeug zur Vollendung des Neuen Bundes. Hier taucht bereits das Gegensatzpaar "Synagoge - Ecclesia", "Unglaube - Glaube" auf. Er formuliert den Antijudaismus bereits antihäretisch, dabei auf einen bestehenden Antijudaismus zurückgreifend. In der Zeit der Kirchenväter wurde Maria als "theokotos" (Gottesgebärerin) zu einem wesentlichen Element in den christologischen Debatten. L XX, Ps. 68,9: "Meinen Brüdern bin ich ein Unbekannter und ein Fremder den Söhnen meiner Mutter" interpretiert Eusebios von Caesarea mit Brüder = Jünger Christi und Söhne = Juden. Hieronymus betrachtet die Juden als der Verkündigung des Evangeliums unwürdig. Damit negiert er die Grundaussagen des Neuen Testamentes: Die allen teilhaftig werdende Gnade Gottes. Johannes Chrysostomos unterscheidet zwischen Juden, die den Glauben an Christus fanden und denen, die diesen Schritt nicht taten. Letztere haben Christus verraten und gekreuzigt. Gregor I (540-604) führt aus, Jesus sei als Kind Marias zwar Jude, aber Jesus will von dieser Herkunft "ex ... carne" nichts mehr wissen. Er, Gergor I, sieht die Juden nur dem Literalsinn der Schrift verpflichtet, ohne Zugang zum geistigen Gehalt und Antonius sieht in ihnen die Büchersklaven der Christen.

    Befasst sich die Exegese mit der Trias Maria, Jesus, Juden, tritt eine unversöhnliche Frontstellung zu Tage. Beda (672/3 - 735) stellt fest: "die Juden wollten Christus nicht empfangen, sie erwarteten den Antichristen, nicht Befreiung von der Sünde, sondern Befreiung vom Joch der Knechtschaft erwarteten sie". Der Konflikt der Jüdin Maria und der Juden um den Gottessohn erscheint als der Konflikt, in dem das Vollkommene und das radikal Schlechte sich unversöhnlich gegenüberstehen und die Wege der Juden und der Jüdin Maria sich endgültig trennen. Das Hochmittelalter sieht die Kirche als Braut und Christus als Bräutigam, die den (Neuen) Bund besiegeln. Maria wird als Ikone der Weiblichkeit, als Jungfrau aller Jungfrauen, völlig entjudaisiert. Die Judenfeindlichkeit des Mittelalters war eine "virtuelle": Die Ignoranz angesichts der realen Juden und die Radikalität der Exegese führten dazu, das reale und theologische Juden miteinander verknüpft wurden. Der theologische Antisemitismus ist wie der rassische Antisemitismus argumentationsresistent, ein diabolus ex machina.

    Bonaventura postuliert im 13. Jh. dreierlei Leiden Marias: 1. Verlust der leiblichen Gegenwart des Sohnes, 2. das Leiden des Herren und 3. das Blindwerden der Juden. Dazu Hermann vom Reims im 12. Jh.: "So wie er aus ... der Jungfrau geboren wurde, so ist er von den Juden am Kreuz geopfert worden". Maria und die Juden stellen einen Antagonismus in der Theologie des Mittelalters dar: Maria ist die "Vollenderin der Synagoge", Urbild der Kirche "ecclesia spiritualiter" gegenüber der "blinden" Synagoge "synagoga corporaliter". Odo von Lauterburg (ca. 880-958) beschrieb sie als Braut/sponsa des Vaters, als Mutter/mater des Sohnes und als Tempel/templum des Heiligen Geistes. Damit bilden die Begriffe sponsa, mater und templum den Kern der Ekklesiologie.

    Bernhard von Clairvaux (1090-1153) steht zu Beginn der hochmittelalterlichen Mariologie: Die Christen sind die wahren Juden im Sinne des Alten Testamentes, weil sie das Wort hören. Die Juden des Neuen Testamentes aber sind verstockt, sie sind im Gegensatz zu den wahren Kindern Abrahams, den Christen, lediglich Materie Abrahams. Ihr materielles Jerusalem mordet die Propheten. Dennoch können die verstockten Juden, im Gegensatz zu den hoffnungslosen Heiden, Zeugnis ablegen vom wahren Heil. Gott als Gesetz und Barmherzigkeit verkörpert die Kirche. Die Synagoge aber ist nur Gesetz, ungeeignet zur Spendung des Geistes. Für Anselm von Canterbury (1033-1109) war Maria "Regina", "Domina", Königin der Engel. Thomas von Aquin (1225-1274) sieht den Leib Christi nicht von Maria, sondern von Gott in Maria geschaffen.

    In der Verbreitung antijüdischer Mariendarstellungen in der Kunst des 13. bis 15. Jhs "... Maria, die ist juden veind" wurde Maria zur Rose aus den Dornen, den verdorrten Zweigen des Stammes Jesse. Als "mater misericordiae" war sie Patronin der Gläubigen, befreit von der Erbsünde, dem Volk zugewandte Hauptheilige. Die Juden als Hostienfrevler, Schänder des Marienbildes, Ritualmörder unschuldiger Christenkinder bleiben auch als Konvertiten Verworfene, "hässlich" angesichts der Ästhetik des Madonnenbildes. Die Tradierung und Stabilisierung antijüdischer Vorurteile, Stereotypen in der Marginalisierung, zeigten zur Zeit des Schwarzen Todes 1438/49 bei den ersten großen Pogromen ihr Aggressionspotential. Maria avancierte zum Beistand bei Gefahren an der Kirche: Von Juden, Häretikern, Hexen. In den Passionsspielen werden die Massen aufgestachelt durch Darstellung der Leidensgeschichte: Die "compassio" galt nur den Christen. In der Folge werden jüdische Kultbauten besetzt, zu Kirchen und Wallfahrtsstätten Mariens umgewandelt. Die Pogrome machten die Orte wohlhabend: Indem man sich der Juden entledigte, zog man ihren Besitz ein. Maria wurde die Schutzheilige der Städte, als Abbild des himmlischen Jerusalems, ihr gebührten Gedenkstätten - auf denen der vertriebenen Juden.

    Mit zunehmender Verbürgerlichung wandelte sich das Bild Marias: In der Kunst der Nazarener verschwand das Jüdische an der Heiligen Mutter Gottes vollends. "Maria Immaculata" wurde mit goldenem Haar als schöne, blauäugige, sanfte, deutsche Jungfrau und Gottesmutter dargestellt, eine "dunkle" Seite gab es nie... Ein ähnliches Bild transportierte der Katholizismus in den deutschen Faschismus: Er hebt die Reinheit Marias gegenüber der Sünderin Eva hervor. Eine Vielzahl katholischer Erbauungsliteratur zur sittsamen Erziehung der Jungen und Mädchen geht seither auf die Gläubigen nieder. Das Marienbild ist erzkonservativ, die fortschreitende Industrialisierung und Technisierung werden mit Argwohn betrachtet, die Stadt als Sinnbild der Moderne wird zum Sündenbabel. Frauen haben sich sittsam, unauffällig zu kleiden: Ein Frauenbild, dem der Nazis nicht unähnlich. Emanzipatorische Ansichten sind tabu. Frauen haben sich in den ihnen von der Natur aufgegebenen Berufen aufzuhalten. Ihr edelster Beruf aber ist der der Mutter. Damit deckte sich das Frauenbild der Katholischen Kirche weitgehend mit dem der Nazis: rechtskonservativ, antimodernistisch, antidemokratisch, völkisch (bzw. religiös) und antisemitisch.

    Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass auch in unserem Nachbarland Polen seit dem Mittelalter eine verhängnisvolle Allianz zwischen Marienkult und Judenfeindschaft besteht. Der Marienkult ist bis heute fester Bestandteil der Volksfrömmigkeit. Ab dem 17. Jh. bildete sich eine spezifisch polnische Marienverehrung mit nationaler Akzentuierung heraus. Das Bild der "Schwarzen Madonna von Czestochowa" wurde zu dem Sinnbild der Verschmelzung von Religion und Nation. Zwar ist die Vereinnahmung Marias als Schutzpatronin des Landes keine genuin polnische Sache - bereits die Deutschen Ordensritter verehrten sie - aber schon 1410 zogen polnische Ritter mit dem Lied "Boguridnica" (Gottesgebärerin) und dem Bild der Schwarzen Madonna in die Schlacht. Maria ist die "Herrin und Königin der Welt", "unsere Königin". In den für Polen existenzbedrohenden Kriegen stärkte der Adel den Mythos Polens als Vorhut des lateinischen Christentums. Ab 1648 kam es immer wieder zu Pogromen, die jüdische Autonomie ging unter dem zunehmenden Einfluss der Jesuiten zurück. Die Mutter Gottes als Königin Polens bedeutete: Wer nicht katholisch war, war kein Pole, somit fremd und ein Verräter. Wie hätte ein Jude schutzsuchend unter dem Mantel der Himmelskönigin flüchten können? Auch hier kam es nach dem ersten Weltkrieg zu einer Allianz zwischen Antisemitismus und Antikommunismus. Die Juden wurden als Bolschewiken, Zerstörer des christlichen Abendlandes, geächtet. Taufen nutzten im 20. Jh. genauso wenig wie im Mittelalter.

    Zum Weiterlesen: "Maria, Tochter Sion? Mariologie, Marienfrömmigkeit und Judenfeindschaft", Hg.: Johannes Heil/Rainer Kampling (FU Berlin), Paderborn 2001, 271 S, 21 Abb., ISBN 3-506-74254-X
    Informationen: Prof. Dr. Rainer Kampling, Seminar für Katholische Theologie, Tel.: 030/838-54074, -53005, Fax: 838-56469, E-Mail: Kampling@zedat.fu-berlin.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Kunst / Design, Musik / Theater, Philosophie / Ethik, Religion
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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