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10.10.2011 13:23

Die Frankfurter Forschung zu Edda und Saga und ihre Neuerscheinungen zur Buchmesse

Ulrike Jaspers Marketing und Kommunikation
Goethe-Universität Frankfurt am Main

    Island ist Ehrengast der Frankfurter Buchmesse: eine willkommene Gelegenheit für das kleine Land, seinen riesigen Literaturschatz zu präsentieren, aber auch für das Institut für Skandinavistik der Goethe-Universität Frankfurt, um auf seine jahrzehntelangen Forschungen zur mittelalterlichen nordischen Überlieferung und zum Nachleben in der Neuzeit aufmerksam zu machen. Eines der größten Projekte, die Island mit deutschen Partnern für den Gastlandauftritt vorbereitete, hat Prof. Julia Zernack wissenschaftlich mitbetreut: die deutsche Neuübersetzung einer breiten Auswahl von Isländersagas, die in einer fünfbändigen Ausgabe pünktlich zur Buchmesse im Fischer Verlag erschienen sind.

    Die insgesamt knapp 40 Isländersagas sind die bekanntesten Vertreter der außerordentlich umfangreichen Sagaliteratur Islands. Für die kulturelle und nationale Identität der Isländer haben die Sagas über die Jahrhunderte eine kaum zu überschätzende Rolle gespielt, und weit über Island hinaus gelten sie heute als dessen „klassische“ Literatur. Entstanden im 13. und 14. Jahrhundert erzählen sie von den ersten Jahrhunderten isländischer Geschichte: Sie schildern die „Landnahme“ der größtenteils aus Norwegen stammenden ersten Isländer auf der Insel im späten 9. und frühen 10. Jahrhundert und berichten, wie diese ihr neues Gemeinwesen organisierten, wie sie ihre sozialen Beziehungen und ihr Verhältnis zum norwegischen König regelten, wie sie ihr Recht durchsetzten, Macht und Wohlstand verteilten und anderes mehr.

    „Das alles ist bis ins Detail so lebensnah und realistisch dargestellt, dass man meinen könnte, ein Abbild der historischen Wirklichkeit Islands vor über 1.000 Jahren zu erkennen – nicht umsonst galten die Sagas bis ins 20. Jahrhundert hinein vielfach als rechtshistorische Quellen“, erläutert die Frankfurter Skandinavistin Julia Zernack. „Tatsächlich jedoch werden die Geschehnisse der sogenannten Sagazeit von zirka 870 bis 1050 rückblickend, mit zwei- bis dreihundert Jahren Abstand, in einer Weise rekonstruiert, wie es die anonymen Verfasser des Hoch- und Spätmittelalters nach den ideologischen Bedürfnissen ihrer eigenen Gegenwart für angemessen und überzeugend hielten.“

    Besser als die Sagas kennt man außerhalb Islands meist die nordischen Mythen: Erzählungen von den Asengöttern Thor und Odin, von den jugendspendenden Äpfeln der Göttin Idun, von der Erschaffung der Welt aus dem Urriesen Ymir und von ihrem Untergang in den Ragnarök, von den Nibelungen und vielem anderen. Dazu Zernack: „Überliefert ist die nordische Mythologie und Heldensage fast ausschließlich in isländischen Zeugnissen aus dem Hochmittelalter – auch wenn diese Stoffe in Deutschland oft als ‚germanisch’ in Anspruch genommen wurden.“ Schlüsseltexte sind zwei volkssprachliche Schriftdenkmäler, die beide den Namen „Edda“ tragen: eine Liederhandschrift aus der Zeit um 1270 und ein Poetik-Handbuch aus den 20er Jahren des 13. Jahrhunderts, zugeschrieben dem Politiker, Historiografen und Mythografen Snorri Sturluson.

    Auf dem Gebiet dieser eddischen Überlieferung und der von ihr ausgehenden Rezeptionstradition hat die Frankfurter Skandinavistik ihren Forschungsschwerpunkt, getragen von zwei von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekten. Das eine, geleitet von dem Emeritus Prof. Klaus von See, ist ein wissenschaftlicher Kommentar zu den Liedern der Edda. In dem anderen widmet sich Julia Zernack, die 2001 die Professur für Skandinavistik von Klaus von See übernahm, dem Nachleben der eddischen Stoffe und Texte von den Anfängen ihrer schriftlichen Überlieferung bis in die Gegenwart. In Zusammenarbeit beider Projekte entsteht zudem eine umfangreiche, weltweit einzigartige Sammlung und Dokumentation von Quellen und Forschungsliteratur zur nordischen Mythologie und Heldensage.

    So faszinierend und frisch die eddischen Texte – Lieder wie „Die Weissagung der Seherin“ (Völuspá) und „Brynhilds Helfahrt“ (Helreið Brynhildar) oder Prosaberichte wie „Gylfis Täuschung“ (Gylfaginning) – auch heute noch wirken, in vielen Einzelheiten sind sie dem Verständnis nicht mehr unmittelbar zugänglich; sie bedürfen der Übersetzung und der Erläuterung. Für die Edda-Lieder übernimmt diese Aufgabe mit großer internationaler Resonanz der Frankfurter Edda-Kommentar. Angelegt auf sieben Bände, von denen der sechste noch in diesem Jahr – wie die anderen auch – im Universitätsverlag Winter in Heidelberg erscheinen wird, erläutert er nicht nur schwer verständliche Textstellen, sondern vor allem auch die Gesamtkonzeption der Lieder und ihren literaturgeschichtlichen Standort.

    Spätestens seit Mitte des 18. Jahrhunderts und dann vor allem unter dem Einfluss von Richard Wagners Operntetralogie „Der Ring des Nibelungen“ (1876) wird die nordische Mythologie und Heldensage international und in allen zur Verfügung stehenden Medien aufgegriffen und aktualisiert – in Musik, bildender Kunst, Literatur, Film, Weltanschauungspublizistik und Alltagskultur. Gegenwärtig erleben die nordischen Mythen eine Welle der Aufmerksamkeit in der Populärkultur; so lief im Mai der Film „Thor“, Kenneth Branaghs Verfilmung des seit den 1960er Jahren erscheinenden Marvel-Comics „The Mighty Thor“, in den deutschen Kinos. „Ursachen sind in der Tolkien-Begeisterung und dem schon lange anhaltenden Fantasy-Boom zu suchen, der bis in die Musik des Heavy Metal hineinwirkt“, so Zernack. Ihr interdisziplinäres Forschungsprojekt „Edda-Rezeption“, in dem Philologie, Kunst-, Musik- und Religionswissenschaft zusammenarbeiten, erschließt diese Rezeptionstradition erstmalig in ihrer Breite und widmet ihr darüber hinaus eine Anzahl exemplarischer Studien. Pünktlich zur Buchmesse ist dazu eine Publikation ebenfalls im Universitätsverlag Winter erschienen: eine Aufsatzsammlung mit dem Titel „Eddische Götter und Helden – Milieus und Medien ihrer Rezeption“.

    „saga zeit“ – Sonderausstellung im Archäologischen Museum

    Das Institut für Skandinavistik der Goethe-Universität hat zudem an der Sonderausstellung des Archäologischen Museum Frankfurt mitgewirkt, die bis zum 30. November unter dem Titel „saga zeit – Geschichte und Funde aus dem Alten Island“ Ausstellungen, Lesungen, Vorträge sowie musikalische und künstlerische Veranstaltungen anbietet. Für Literaturbegeisterte hat das Museum Leseecken eingerichtet, wo Besucher auch in den neu übersetzten Isländersagas des Fischer-Verlages schmökern können. Zudem liegen dort wissenschaftliche Publikationen bereit – darunter die bisher erschienenen Bände des Frankfurter Edda-Kommentars und die aus Zernacks Rezeptions-Projekt hervorgegangene Aufsatzsammlung „Sang an Aegir“ – Nordische Mythen um 1900“ (2009).

    Im Rahmen der Ausstellung hält auch Klaus von See einen Vortrag im Archäologischen Museum. Am 12. Oktober (Mittwoch) spricht er um 18 Uhr über „Die Skalden – isländische und norwegische Dichter des Mittelalters“. Die Skaldendichtung erlebte ihre Blütezeit in der Wikingerzeit, im 9. bis 11. Jahrhundert, und sie stellt die älteste volkssprachige Kunstlyrik des mittelalterlichen Europas dar. Von See wird an ausgewählten Beispielen den hohen ästhetischen Reiz und die kulturgeschichtliche Bedeutung der Skaldendichtung demonstrieren. Neben Saga und Edda ist die Skaldendichtung die dritte große Gattung der mittelalterlichen isländischen Literatur, mit der sich die Frankfurter Skandinavisten beschäftigen. Zur Buchmesse ist nun eine Untersuchung von Klaus von Sees ebenfalls beim Winter Verlag erschienen: „Skalden. Isländische Dichter des Mittelalters“.

    Informationen: Prof. Dr. Julia Zernack, Institut für Skandinavistik, Campus Westend, Tel: (069) 798- 32985, zernack@em.uni-frankfurt.de


    Weitere Informationen:

    http://www.eddaforschung.de; www.archaeologisches-museum.frankfurt.de/sonder/saga.html


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften, Sprache / Literatur
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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