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23.05.2012 10:05

100 Jahre Religionsforschung an der Universität Leipzig

Susann Huster Pressestelle
Universität Leipzig

    Im Juni vor 100 Jahren wurde das Religionswissenschaftliche Institut der Universität Leipzig gegründet – in einer Zeit, in der die Bedeutung von Religion als zentrales Element menschlicher Kultur unbestritten war. "Es war deshalb keine Frage, dass die wissenschaftliche Erforschung von Religion als geisteswissenschaftliche Einzeldisziplin institutionell verankert werden sollte", sagt Prof. Dr. Hubert Seiwert, Professor für Allgemeine und Vergleichende Religionswissenschaft. Heute bildet das Thema Religion eine Schnittstelle, an die zahlreiche Wissenschaften anschließen können.

    So wurde es möglich, im Jahr 2009 das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte religionswissenschaftliche Graduiertenkolleg "Religiöser Nonkonformismus und kulturelle Dynamik" einzurichten, mit Beteiligten aus zehn verschiedenen Disziplinen. "Das Potential, das mit den vorhandenen intellektuellen Ressourcen unserer Universität für die weitere Profilierung der Religionsforschung gegeben ist, ist damit jedoch längst nicht ausgeschöpft", ist sich Seiwert sicher. Die Pflege zahlreicher interdisziplinärer Kooperationen mache es möglich, die deutschlandweite Sonderstellung der Leipziger Religionswissenschaft zu bewahren. "Zu dieser gehört seit Anbeginn auch eine globalhistorische Perspektive, welche die außereuropäischen und vormodernen Religionen ebenso zum Gegenstand von Forschung und Lehre macht wie europäische und zeitgenössische Formen von Religion."

    Historische Perspektive - Verteidigung wissenschaftlicher Autonomie Religion ist ein umstrittener Forschungsgegenstand, der im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen steht, von denen die wenigsten wissenschaftlicher Art sind. "Wie ein roter Faden zieht sich durch die Geschichte der Religionswissenschaft das Problem der wissenschaftlichen Autonomie. Die Religionswissenschaft muss navigieren zwischen der Skylla der Religionskritik und der Charybdis einer Apologie von Religion. Dabei Kurs zu halten, erfordert auch, sich den Verlockungen zu verweigern, die mit der Aussicht auf politische Förderung verbunden sind", erklärt der Wissenschaftler. Während zweier Weltanschauungsdiktaturen habe die Universität Leipzig erfolgreich an der Autonomie der Religionswissenschaft festgehalten, deren Lehrstuhlinhaber sich ideologischer Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten ebenso verweigerten wie dem wissenschaftlichen Atheismus.

    Die Erringung und Verteidigung wissenschaftlicher Autonomie begann bereits mit der Etablierung eines Lehrstuhls für Religionsgeschichte und der Gründung des religionsgeschichtlichen Seminars im Jahre 1912, das zunächst der theologischen Fakultät angegliedert war. Für Nobelpreisträger Nathan Söderblom, den kurzzeitigen ersten Inhaber des Leipziger Lehrstuhls, entsprach die Verbindung mit der Theologie dem eigenen wissenschaftlichen Selbstverständnis. "Aber schon durch seinen Nachfolger Hans Haas wurde ein Profil entwickelt, das die Religionswissenschaft als nichttheologische Disziplin in den Geistes- und Sozialwissenschaften verortete", sagt Seiwert. "Dies lag einerseits an der Nähe zu philologischen und orientalistischen Disziplinen, andererseits wurde die Abgrenzung zur Theologie auch wissenschaftstheoretisch begründet."

    Verstärktes öffentliches Interesse an Religion Das 1993 neu gegründete Religionswissenschaftliche Institut sei in einer Zeit, in der von den Wissenschaften gefordert werde, sich öffentlich sichtbar zu machen und ihre Forschung an gesellschaftlichen Problemen zu orientieren, neuerlichen Verlockungen ausgesetzt, sich in den Dienst außerwissenschaftlicher Interessen zu stellen. "Die Wiederentdeckung der politischen und sozialen Dynamik von Religionen im globalen wie im nationalen Kontext sowie die damit verbundenen Konflikte und sozialen Probleme haben der Religionswissenschaft seit einigen Jahren zu erhöhter Beachtung verholfen", sagt der Experte. Die Leipziger Religionswissenschaft reagiert auf diese Entwicklung, indem sie sich in Forschung und Lehre verstärkt mit Themen aktueller Relevanz befasst. Religion sei wieder zum Gegenstand politischer Debatten geworden: "Für die einen gilt Religion - jedenfalls soweit es nicht die eigene ist - als Bedrohung der vermeintlich säkularen Grundlage von Staat und Gesellschaft. Die anderen besinnen sich auf deren vermeintlich christlich-jüdischen Fundamente als geeignetes Mittel, sich für den Kampf der Kulturen zu rüsten." Für die Religionswissenschaft sei die Versuchung groß, ihre öffentliche Sichtbarkeit zu erhöhen, indem sie diese Debatten nicht nur untersucht, sondern sich daran beteiligt. "Der Preis für die so bewiesene gesellschaftliche Relevanz wäre jedoch die Aufgabe strenger wissenschaftlicher Methodik, welche die Autonomie der Wissenschaft begründet", so der Universitätsprofessor.

    Bereits seit der letzten Jahrhundertwende erfährt das Thema Religion in der öffentlichen Wahrnehmung wieder einen Aufschwung, der auch der damit befassten Disziplin erhöhte Bedeutung verleiht. So groß ist das neu erwachte Interesse an Religion, dass der Wissenschaftsrat 2010 die Empfehlung ausgesprochen hat, an einigen deutschen Universitäten international konkurrenzfähige Zentren für Religionswissenschaft aufzubauen. "Unabhängig davon wurde an unserer Universität schon zuvor die Initiative ergriffen, die vielfältigen Forschungen zu Religion, die an verschiedenen Instituten und Fakultäten geleistet werden, zu vernetzen und im Centre for the Study of Religion zu koordinieren", erklärt Seiwert.

    Hinweis: Zum Wintersemester 2012/13 führt die Universität Leipzig im Fach Religionswissenschaft einen Bachelorstudiengang ein. Weitere Informationen erhalten Sie in einer in Kürze folgenden Pressemitteilung.

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    Weitere Informationen:
    Prof. Dr. Hubert Seiwert
    Telefon: +49 341 97-37161
    E-Mail: seiwert@uni-leipzig.de
    www.uni-leipzig.de/~religion/institut.html


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Religion
    überregional
    Studium und Lehre
    Deutsch


     

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