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Der Friedensnobelpreis ist in diesem Jahr an die Europäische Union (EU) gegangen. In Anbetracht der schweren Wirtschaftskrise sowie den Protesten in den Krisenländern gegen die Sparpolitik will das Nobelpreiskomitee damit den Fokus auf die aus ihrer Sicht wichtigste Errungenschaft der EU lenken, nämlich Europa in den vergangenen sechs Jahrzehnten von einem Kontinent des Krieges zu einem Kontinent des Friedens gemacht zu haben. Welche Richtung die europäische Integration in Zukunft nehmen wird, erklärt Prof. Dr. Johannes Varwick, Professor für Politische Wissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg:
Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union ist ein guter Anlass, sich auf den Wert der europäischen Integration zu besinnen. Angesichts der Staatsschulden- und Währungskrise in Europa, der oftmals mangelnden Akzeptanz der EU in der Öffentlichkeit, eines offenkundigen Demokratiedefizites, komplexer Entscheidungsprozesse und vielfältiger Probleme ist der Nobelpreis auch eine Mahnung, Frieden und Stabilität in Europa nicht als Selbstverständlichkeit zu betrachten.
Die europäische Integration und mit ihr die zentrale politische Organisation des Kontinents, die EU, befindet sich in einer Phase der Neuorientierung. Bereits seit Ende des Ost-West-Konflikts haben sich die Rolle und das Selbstverständnis der EU fundamental gewandelt. Mit der schrittweisen Erweiterung um die mittel- und osteuropäischen Staaten ist sie zum Stabilitätsgaranten auf dem europäischen Kontinent geworden und hat sich mit der Gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit Instrumenten ausgestattet, um potenziell eine treibende Kraft in einer multipolaren Welt zu werden. Um dieses Potenzial zu realisieren, stehen die Europäer „innenpolitisch“ jedoch vor weitgehenden Herausforderungen, die ihren Blick nach innen drängen. Angesichts tiefgreifender Verwerfungen und bleibender Heterogenität scheint es nicht mehr völlig ausgeschlossen, dass die Geschichte ihren Rückwärtsgang einlegt und die EU das Schicksal von zahlreichen Verbünden – so unvergleichlich sie auch mit der EU sind – vom Habsburger zum Osmanischen bis hin zum Heiligen Römischen Reich ereilt: ein konfliktträchtiger Zerfall.
Andererseits erscheint es im Lichte des externen Druckes und der Machtverschiebungen im internationalen System als eine blanke Notwendigkeit für Europa, sich weiter zu integrieren und tragfähige, gemeinsame Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft zu geben. Dazu gehört auch, die politische und ökonomische Integration zu vertiefen, was allerdings nicht ohne die weitere und verstärkte Bereitschaft zur Abgabe staatlicher Souveränität machbar sein wird.
Die künftige Organisationsform des politischen Europas ist mehr im Fluss, als uns das heute bewusst ist. Die schwierigen Debatten über die Zukunft der Integration und die Rolle der europäischen Staaten im internationalen System stehen der EU erst noch bevor. Dabei ist es sehr sinnvoll, sich nicht nur des Preises der europäischen Einigung, sondern auch ihres Wertes zu vergewissern. Denn die europäische Integration bleibt ein faszinierendes Projekt, das nicht am Ende ist, sondern Zukunft hat. Die Form dieser Zukunft freilich ist höchst ungewiss.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Johannes Varwick
0911/5302 539
johannes.varwick@polwiss.phil.uni-erlangen.de
http://blogs.fau.de/news/category/fau-aktuell/nachgefragt/ Expertenkommentare von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der FAU
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
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