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Nur wenige Anwälte vertreten regelmäßig Jugendliche und Heranwachsende vor Gericht. Die Besonderheit der Jugendstrafverteidigung ergibt sich vor allem aus dem Umstand, daß sie eher als eine 'brotlose Kunst' gilt und von daher eine ungeliebte anwaltliche Tätigkeit darstellt. Dies ist das Ergebnis einer Studie von Professor Dr. Michael Walter, Michael Semrau und Michael Kubink von der Kriminologischen Forschungsstelle der Universität zu Köln.
Fast jedes vierte Strafverfahren in Deutschland wird nach dem Jugendstrafrecht abgewickelt. In der Praxis werden aber nur ca. 25 Prozent der Jugendlichen von einem Strafverteidiger betreut, im Gegensatz zu 60 Prozent bei Erwachsenen.
Dies erstaunt um so mehr, da doch gerade Jugendliche des besonderen Schutzes und der Beratung bedürfen, so die Kölner Rechtswissenschaftler. Vor allem der Möglichkeit der Angeklagten, ihre Lebenssituation und ihr Verhalten angemessen darzustellen, kommt eine erhebliche Bedeutung zu. Viele Jugendliche haben Schwierigkeiten, sich in der fremden und gespannten Gerichtsatmosphäre präzise zu äußern. Noch schwieriger fällt es ihnen, den angebotenen Sachverhaltsinterpretationen des Richters zu widersprechen.
Finanzielle Erwägungen sowie der Einfluß der Eltern und die mangelnde Selbständigkeit der Beschuldigten bedingen den Verzicht auf einen Wahlverteidiger. Da zudem die überwiegende Zahl der Straftaten keine Verbrechen im rechtstechnischen Sinn sind, (Mindestmaß für ein Jahr Freiheitsstrafe) sondern Vergehen, für die grundsätzlich keine Verteidigerbestellung vorgeschrieben ist, wird häufig auch auf die gerichtliche Beiordnung eines Verteidigers verzichtet. Dabei spielen sowohl der Wunsch nach einem reibungslosen Verfahren eine Rolle als auch fiskalische Sparbemühungen.
Mandate in Jugendstrafsachen sind für den Anwalt nicht selten Zuschußgeschäfte. In der Praxis liegen die Gebühreneinkünfte des Wahlverteidigers um 40 Prozent über denen des Pflichtverteidigers. Die finanzielle Schlechterstellung des Pflichtmandats führt dazu, daß der persönliche Einsatz des Pflichtverteidigers geringer ist als der des Wahlverteidigers. Verschiedene Verhaltensweisen von Anwälten können dazu dienen, die erhöhten Anforderungen im Zusammenhang mit Jugendlichen zu 'kompensieren', etwa der Verzicht auf Beweisanträge oder auch die Verhinderung von Verfahrenseinstellungen, um die Hauptverhandlungsgebühr sicherzustellen.
Eine Befragung aller am Amtsgericht Köln zugelassenen Anwälte ergab: Lediglich gut fünf Prozent der Antwortenden waren mit der Verteidigung von Jugendlichen und Heranwachsenden befaßt. Aber auch in diesen Fällen orientieren sich Anwälte bei ihrem Vorgehen vielfach am Erwachsenenstrafrecht. Dafür sprechen vor allem pragmatische Gründe. Jugendliche Straftäter, die wie Erwachsene behandelt werden, erfordern weniger Arbeit als komplexe 'Sozialisierungsunfälle', bei denen weiterreichende Hilfestellungen nötig erscheinen. Dies zeigt auch die Tatsache, daß die überwiegende Zahl der Jugendstrafverteidiger eher zufällig zu dieser Spezialisierung gekommen sind. Nur eine kleine Gruppe der Befragten äußerte, daß es sich hierbei um die erstrebte Verwirklichung ihres Berufsziels handele.
Nach Meinung von Professor Walter und seinen Mitarbeitern muß die Verteidigung Jugendlicher in den Versuch eingebettet sein, deren Gesamtsituation zu stabilisieren. Die Vermittlung von Wohnungen oder von Ausbildungsplätzen sind Maßnahmen, die für das Strafverfahren relevant sind, ebenso die Einleitung notwendiger Therapien oder auch die Schuldenregulierung. Kann dadurch eine günstige Sozialprognose erstellt werden, schlägt sich diese Art der Betreuung möglicherweise auch im späteren Urteil nieder. Daher ist schon während des Ermittlungsverfahrens eine Kontaktaufnahme mit den anderen Verfahrensbeteiligten wichtig. Dabei sind vorbereitende Abreden mit der Jugendgerichtshilfe und dem Richter sinnvoll, um die erforderliche Wiedereingliederung des Beschuldigten zu fördern. Die Kommunikation mit diesen anderen Prozeßbeteiligten verläuft jedoch eher zurückhaltend. Da es sich zumeist um kleinere Delikte handelt, verlangen diese aus anwaltlicher Sicht auch keine intensive Vorarbeit. Integrationschancen werden zu selten wahrgenommen.
Zudem beenden die meisten Pflichtverteidiger ihr Engagement mit Abschluß der Hauptverhandlung. Wegen der hohen Kosten einer weiteren anwaltlichen Tätigkeit wird diese auch nur selten von den Mandanten gewünscht. Zum Ende ihres Mandats informieren die meisten Anwälte immerhin ihre Klienten über die Möglichkeiten einer Aussetzung der Reststrafe oder über Tilgungsregeln für das Erziehungs- und Zentralregister. Eine weitergehende Wiedereingliederungshilfe bleibt freilich aus. Folgenreich ist dies vor allem bei Mandanten, die sich in der Gefahr befinden, erneut mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, wie z.B. drogenabhängige Jugendliche.
Verantwortlich: Dr. Wolfgang Mathias
Für Rückfragen steht Ihnen Dr. Michael Kubink unter der Telefonnummer 0221/470-4357 und der Fax-Nummer 0221/470-5147 zur Verfügung.
Unsere Presseinformationen finden Sie auch im World Wide Web (http://www.uni-koeln.de/organe/presse/pi/index.htm).
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Politik, Recht
überregional
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Deutsch
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