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15.10.2002 10:23

Der Tod im Schacht

Norbert Frie Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Westfaelische Wilhelms-Universität Münster

    Der Abstieg in die Tiefe endete für den Münsteraner Studenten Tobias Esch mit einer Überraschung: Auf der Sohle eines mehr als acht Meter tiefen Schachtes stieß er auf ein menschliches Skelett, einen Lederbeutel, Schmuckgegenstände und eine große Zahl antiker Münzen. Der Fundort, der den Zugang zu einem verzweigten Abwasserkanal bildet, liegt auf dem Gelände der antiken Großstadt Alexandria Troas in der heutigen Westtürkei, die von der Forschungsstelle Asia Minor der Universität Münster schon seit einigen Jahren wissenschaftlich untersucht wird.

    Seit kurzem verfügen die münsterschen Wissenschaftler unter Leitung des Althistorikers Prof. Dr. Elmar Schwertheim und des Archäologen Prof. Dr. Hans Wiegartz über eine nur sehr selten an Ausländer erteilte Genehmigung der türkischen Regierung, die es ihnen ermöglicht, in eigener Regie archäologische Grabungen in Alexandria Troas durchzuführen. Rechtzeitig zum Beginn des Wintersemesters kehrten die Mitarbeiter der Forschungsstelle Asia Minor mit neuen Erkenntnissen zur wechselvollen Geschichte dieser vergessenen Metropole nach Münster zurück.

    Gegründet wurde die Stadt um 310 v. Chr. von Antigonos Monophthalmos, einem Nachfolger Alexanders des Großen. Aufgrund der Lage in unmittelbarer Nähe zum Hellespont, der wichtigen Nahtstelle zwischen Europa und Asien, übernahm Alexandria Troas bald die Rolle des nahe gelegenen Troja. Der geschützte Hafen ermöglichte die Kontrolle wichtiger Schifffahrtswege und wurde zum Ausgangspunkt weitreichender Handelsbeziehungen. Eine acht Kilometer lange Stadtmauer mit zahlreichen Türmen und Toren umgab ein riesiges Areal von 400 Hektar.

    Besuch vom Apostel Paulus

    Einen tiefen Einschnitt in die Geschichte der Stadt bedeutete die Einrichtung einer römischen Veteranenkolonie spätestens im Jahre 12 v. Chr. unter Augustus. Der Hafen wurde zur Durchgangsstation für die römischen Soldaten auf ihrem Weg zu den Kriegsschauplätzen im Osten des Reiches. Eine herausragende Rolle spielte die Stadt auch für das frühe Christentum: Der Apostel Paulus besuchte die Stadt zweimal und hatte hier eine Vision, die ihn dazu veranlasste, in Europa den christlichen Glauben zu verkünden. Der spätere Niedergang der antiken Metropole geht nach Ansicht von Prof. Schwertheim einher mit der zunehmenden Bedeutung Konstantinopels. Wann genau die Küstenstadt aufgegeben wurde, ist unklar. Schwere Erdbeben in dieser Region im 5. und 6. Jahrhundert n. Chr. dürften hierbei eine wichtige Rolle gespielt haben.

    Die Ausgrabungen der letzten Jahre haben bereits gezeigt, dass das eindrucksvolle Osttor von Alexandria Troas eine runde Hofanlage aufweist. Dieser Bau gehört nach Meinung von Projektleiter Dr. Armin Schulz zu den ältesten Rundhoftoren und wurde so zum Ausgangspunkt der Verbreitung dieses Bautyps in Kleinasien. In diesem Jahr standen neben Grabungsschnitten (Sondagen), durch die unter anderem die Eingangssituation geklärt werden konnte, Restaurierungen im Vordergrund. So bearbeitete Stefan Rosendahl, ausgebildeter Steinmetz und Student an der Kunstakademie Münster, einige Kalksteinblöcke nach antiken Vorgaben und fügte sie in die Innenmauer des Rundhoftores ein, um diese abzusichern und einen Eindruck von der ursprünglichen Gestalt der Anlage zu vermitteln.

    Im antiken Stadtzentrum konnte zum einen das aufgrund geophysikalischer Untersuchungen angenommene rechtwinklige Straßensystem durch einen Suchschnitt nachgewiesen werden. Zum anderen wurden die Grabungen an einem Podiumtempel fortgeführt, dessen gewaltiges Fundament eine ungewöhnliche Form der Tempelarchitektur mit zwei Säulenfronten in vermutlich korinthischer Bauordnung erkennen lassen. Vom Mauerwerk und der Marmorausstattung fanden Prof. Wiegartz und seine Mitarbeiter jedoch nur noch Fragmente, da der Bau später als Steinbruch genutzt wurde.

    Tödliches Drama im Abwasserkanal

    Der Tempel bot den Archäologen aus Münster einen buchstäblichen Einstieg in die Antike: Am Rande des freigelegten Tempelfundaments wurden zwei Schächte entdeckt, die Zugänge zu einem unterirdischen Kanalsystem bildeten. Mehrere Zuflüsse in den aus Gussmauerwerk gefertigten Wänden zeigen, dass dieser Kanal der Abwasserentsorgung in der antiken Großstadt diente.

    Beteiligt an den Ausgrabungen waren auch Studierende der Universität Münster. Einer von ihnen, Tobias Esch, stieß bei der Freilegung von einem der beiden Kanalschächte in mehr als acht Meter Tiefe zunächst auf einen menschlichen Schädel und weitere Knochen. Die wegen der beengten Raumverhältnisse schwierige Bergung förderte im folgenden einen Lederbeutel, einen goldenen Ohrring, eine Gemme mit der Darstellung des Halbgottes Herakles und mehr als 300 antike Münzen zutage. Die Silbermünzen mit Porträts römischer Kaiser wurden von türkischen Restauratoren konserviert und befinden sich jetzt im archäologischen Museum von Çanakkale.

    Der Fund bietet reichlich Stoff für Spekulationen. Ein Begräbnis scheidet aus, da die Bewohner von Alexandria Troas ihre Toten - wie in der Antike üblich - außerhalb der Stadtmauern bestatteten. Anzunehmen ist eher, dass dieser Befund im Zusammenhang mit kriegerischen Auseinandersetzungen steht. Möglicherweise kam ein Bewohner der Stadt bei dem Versuch zu Tode, seine Habseligkeiten in dem Schacht vor räuberischen Überfällen in Sicherheit zu bringen. Die jüngsten der gefundenen Münzen mit dem Bild des Kaisers Valerian, der von 253 bis 260 n. Chr. regierte, geben einen wichtigen Anhaltspunkt für die Datierung des tödlichen Dramas. Aus dieser Zeit sind Plünderungszüge der Goten in Kleinasien überliefert, die 262 n. Chr. auch Troja brandschatzten. Noch sind aber viele Fragen offen und die Funde, darunter das Skelett und die Münzen, müssen wissenschaftlich weiter untersucht werden.

    Hinweis für Redaktionen: Weitere Informationen und Bildmaterial erhalten Sie in der Forschungsstelle "Asia Minor" der Universität Münster, Georgskommende 25, Telefon 0251/83-24901.


    Weitere Informationen:

    http://www.uni-muenster.de/GeschichtePhilosophie/Geschichte/hist-alt/asia/


    Bilder

    Student Tobias Esch bei archäologischen Arbeiten im unterirdischen Kanalsystem von Alexandria Troas.
    Student Tobias Esch bei archäologischen Arbeiten im unterirdischen Kanalsystem von Alexandria Troas.

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    Antike Silbermünzen in großer Zahl fanden die Wissenschaftler der Universität Münster.
    Antike Silbermünzen in großer Zahl fanden die Wissenschaftler der Universität Münster.

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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