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25.10.2013 12:02

FAU-Wissenschaftlerin relativiert Mythen rund ums Thema Stillen

Blandina Mangelkramer Kommunikation und Presse
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    Prof. Dr. Andrea Büttner, Lebensmittelchemikerin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), hat untersucht, was genau das besondere Aroma der Muttermilch ausmacht – und ist dabei auf Erkenntnisse gestoßen, die so manchen Mythos rund ums Stillen zumindest relativieren. Für ihre Arbeit hat die Forschergruppe der Wissenschaftlerin den Nutricia-Wissenschaftspreis zur Erforschung des Stillens und der Muttermilch erhalten, der in diesem Jahr zum ersten Mal vergeben wurde. Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert.

    „Die Ursprungsidee für unser Projekt war eigentlich eine differenzierte Untersuchung, wie Aromen vom Stoffwechsel des Menschen verarbeitet werden – und welche Faktoren das Aromaprofil von Muttermilch prägen“, berichtet die Preisträgerin Prof. Büttner. Warum dann die Beschäftigung mit der Muttermilch? „In viele Studien wird angenommen, dass viele Geschmackspräferenzen und Akzeptanzmuster in kritischen Phasen des Lebens, insbesondere der Kindheit, ausgebildet werden. Gerade die ersten Entwicklungsphasen unmittelbar vor und nach der Geburt werden hier intensiv diskutiert. Entsprechend wollten wir ganz am Beginn des Lebens ansetzen – dann, wenn Nase und Gaumen noch nicht von der Umwelt geprägt sind.“ Deshalb nahmen Büttner und ihr Team im Rahmen des fünfjährigen BMBF-Nachwuchswettbewerbs „Molekulare Grundlagen der humanen Ernährung“ schon die Allerkleinsten ins Visier – aber vor allem die Nahrung, die wir Menschen als allererstes zu uns nehmen.

    Für die Studie galt es, per Gaschromatographie aus der Muttermilch zunächst einmal die potentesten Aromastoffe zu identifizieren und insbesondere mit Hilfe der Nase und hochspezialisierter chemischer Analysemethoden eindeutig in ihrer Struktur aufzuklären. Allein das war schon eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, da sie nicht nur eine Aroma-analytische Spezialexpertise beim Nachweis von Spurengeruchsstoffen, sondern auch einen „guten Riecher“ voraussetzt. Noch schwieriger war es, die Reaktionen von Säuglingen auf Geruchsstoffe zu untersuchen, um darüber Erkenntnisse zu gewinnen, ob bestimmte Gerüche für die kleinen Probanden attraktiv oder eher abschreckend sind. Dafür konfrontierten die Forscher die winzigen Testteilnehmer mit ausgewählten Geruchsstoffen der Muttermilch, von denen angenommen wird, dass sie für uns Menschen charakteristisch sein könnten. Gleichzeitig analysierten sie die Mimik der Säuglinge oder körperliche Reaktionen wie Kopfwegdrehen oder Leckbewegungen.

    Eins stellte sich dabei schnell heraus: Ein „Superaroma“, das der Muttermilch eine einzigartige Anziehungskraft für den Säugling verleiht, ließ sich auf diese Weise bislang nicht dingfest machen. Zwar fiel ein erster Verdacht auf Androstenon, einen typischen Geruchsstoff des Menschen, der jedoch auch als Sexuallockstoff bei Schweinen vorkommt. Doch die Annahme erwies sich als falsch, wie Büttner berichtet: „Zwar konnten die Babys schon kleine Konzentrationen riechen, sie fühlten sich aber keineswegs von dem Geruchsstoff angezogen, sondern zeigten sogar Reaktionen, die eher auf Ablehnung schließen lassen.“ Ob es daran liegt, dass nur eine Einzelkomponente und nicht das Gesamtbouquet getestet wurde? Die Frage können die Wissenschaftler bislang nicht beantworten: „Solche Test sind äußerst zeitaufwändig und die möglichen Kombinatoriken der einzelnen Geruchsstoffe in der Muttermilch hochkomplex“, meint Büttner. „Interessant dennoch, dass ein eigentlich typischer Humangeruchsstoff als Einzelsubstanz offenbar für Säuglinge nicht attraktiv ist.“ Büttner und ihr Team gehen nun auch der Frage nach, ob dies ein Hinweis sein kann, dass Babys tatsächlich schon komplexe Geruchsmischungen zu erkennen in der Lage sind.

    Wichtig waren aber vor allem Erkenntnisse, denen Büttner und ihr Team während der Studie mittels ihrer guten Riecher auf die Spur kamen: So gehen nicht etwa alle Stoffe oder Aromen, die stillende Mütter mit der Nahrung zu sich nehmen, eins zu eins in die Muttermilch über. Konkret belegen konnten die Lebensmittelchemiker das zunächst an Fischöl, mit dem Mütter während der Stillzeit oft wegen der darin enthaltenen Omega-3-Fettsäuren supplementiert werden: Nach dem Verzehr enthielt die Muttermilch von Frauen kein nachweisbares Fischölaroma. Gleiches galt für Stillteearomastoffe, die ebenfalls weder chemisch-analytisch noch sensorisch in der Muttermilch nachweisbar waren, selbst wenn die Mutter nahezu einen Liter Stilltee zu sich nahm.

    Weitere Aromen nehmen die Forscher gerade noch im Hinblick auf einen möglichen Transfer in die Muttermilch unter die Lupe. Dabei zeichnet sich ab, dass es nur ganz bestimmte Stoffe und Substanzklassen gibt, die in der Tat über die Muttermilch weitergegeben werden – erste Indizien deuten hier in die Richtung von Substanzen, die beispielsweise auch über Körperflüssigkeiten wie Schweiß abgesondert werden. „Ich will nicht sagen, dass unsere Erkenntnisse die Muttermilchforschung revolutionieren“, meint Büttner. „Aber es fehlte bislang ganz klar eine differenzierte Betrachtung verschiedener Stoffe und Aromen sowie der im wirklichen Leben aufgenommenen Mengen. Ebenso sind die komplexen Prozesse im mütterlichen Organismus nicht hinreichend untersucht, die dafür sorgen, dass eben nicht alle Geruchsstoffe der Nahrung mit der Muttermilch abgegeben werden. Daher wurde immer pauschal angenommen, dass alle konsumierten Substanzen sich auch in der Muttermilch wiederfinden.“

    Als Konsequenz der Ergebnisse von Andrea Büttners Arbeitsgruppe steht nun in Frage, ob Muttermilch tatsächlich spätere Geschmacksvorlieben prägt oder, entgegen der weit verbreiteten Meinung, nur in wenigen Fällen. Und: „Mindestens ebenso spannend wäre zu diskutieren, ob und in welcher Weise der mütterliche Organismus eine Kontrollfunktion übernimmt“, meint Büttner. „Denn oft wird vergessen, dass selbst natürliche Aromastoffe nicht immer gesund sein müssen.“

    Ein weiteres Ergebnis der Studie kam auch für die Forscherin durchaus überraschend: Die Warnfunktion, die einem als ekelhaft empfundenem Geruch bei Nahrung nachgesagt wird, scheint nicht angeboren, sondern möglicherweise, zumindest im Fall von Fehlaromen durch Fettsäureoxidation, gelernt. Die Forscher nämlich untersuchten Muttermilch, die rund zwei Monate lang bei -20 Grad Celsius eingefroren war. Im Gegensatz zu Kuhmilch verändert sich das Aroma von Muttermilch im Gefrierfach durch die Oxidation ungesättigter Fettsäuren dramatisch. Die aufgetaute Milch verströmt einen ranzig-fischigen Geruch, der bei Erwachsenen eher Brechreiz auslöst – der Popularität beim Baby aber in der Regel offenbar keinen Abbruch tut. „Die Gefrierlagerung von Muttermilch ist seit Jahrzehnten gängige Praxis, interessant, dass sich kaum Hinweise in der Literatur auf mögliche Ablehnungsreaktionen der Säuglinge auf die oft sensorisch doch sehr unattraktiven Milchproben finden. Die Säuglinge trinken also genau genommen etwas, vor dem uns Erwachsene unser durch Erfahrung geprägter Geruchssinn warnt – haben wir diesem Indiz bislang vielleicht zu wenig Beachtung geschenkt?“ fragt die Wissenschaftlerin. „Wir haben wenig Langzeiterfahrung damit, welche Wirkung die Fütterung derartig sensorisch veränderter eingefrorener Muttermilch auf das Baby hat und ob eine Bevorzugung oder Ablehnung bestimmter Aromen tatsächlich einhergeht mit einer positiven oder negativen Wirkung auf den Säuglingsorganismus.“ Auch dies wollen die Forscher intensiver untersuchen.

    Vermeiden lässt sich übrigens der Prozess bei einer Aufbewahrung in einem Gefrierschrank, der minus 80 Grad Celsius auf das Thermometer bringt – im Privathaushalt kaum machbar, sehr wohl aber im Klinikum beispielsweise auf der Frühchen-Station – sofern ein entsprechender Gefrierschrank vorhanden ist.

    Prof. Dr. Andrea Büttner
    Tel.: 09131/85-22739
    andrea.buettner@fau.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Ernährung / Gesundheit / Pflege
    überregional
    Forschungsprojekte, Wettbewerbe / Auszeichnungen
    Deutsch


     

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