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Wissenschaft
Antisemitismus und Judenfeindlichkeit sind einer Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin zufolge unter Linksextremen in Deutschland weit verbreitet. Bei der Untersuchung des Forschungsverbunds SED-Staat stimmen 34 Prozent der von den Wissenschaftlern zuvor als Linksextremisten eingestuften Personen der Behauptung zu, Juden hätten in Deutschland „zu viel Einfluss“. Unter Personen, die als Linksradikale eingestuft wurden, waren es noch 16 Prozent. Auch über alle politischen Einstellungen hinweg habe die Zustimmung zu diesem Statement mit 10 Prozent recht hoch gelegen. durch qualitative Befragungen und eine vertiefte Auswertung der Ergebnisse.
Die Untersuchung wurde aus Mitteln des vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend finanzierten Programms „Demokratie leben!“ unterstützt. Die Wissenschaftler überprüften in der Studie die Ergebnisse einer von ihnen im Februar 2015 veröffentlichten Untersuchung.
Eine ähnlich hohe Zustimmung von Linksextremen und Linksradikalen stellen die Wissenschaftler auch bei der Einstellung zu dem antisemitischen Stereotyp fest, Juden seien „geld- und raffgierig“. Dieses hätten 13 Prozent der Linksradikalen und 34 Prozent der Linksextremen bejaht. Die Wissenschaftler führen die Haltung Linksextremer darauf zurück, dass das Wort „Jude“ für sie als Synonym für „Kapitalist“ und „Ausbeuter“ stehe. Über alle politischen Haltungen hinweg bejahen 8 Prozent der Befragten dieses Statement.
Politisch motivierte Gewalt gegen Personen halten den Ergebnissen zufolge mit 14 Prozent überdurchschnittlich viele Linksextremisten für gerechtfertigt; insgesamt teilten lediglich 7 Prozent diese Auffassung. Nur ein Drittel der Linksextremisten steht dem staatlichen Gewaltmonopol positiv gegenüber, bei den Befragten über alle politischen Haltungen hinweg war es die Hälfte, wie die Studie ergab.
Offen bleibt den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zufolge bei einer rein quantitativen Betrachtung zwar, welche Motive der jeweiligen Befürwortung oder Ablehnung von Aussagen zugrunde liegen. Sichtbar werde jedoch, dass ein Teil der sich als äußerst rechts bezeichnenden Personen einige linksextreme Einstellungen übernehme und mit anderen – tradierten rechten – Anschauungen kombiniere. Gemeinsam sei extremer Linker und Rechter die prinzipielle Ablehnung der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Ordnung, hieß es.
Die Wissenschaftler befassten sich auch mit den Feindbildern von Linksextremen. Diese begegnen den von ihnen als „Feinde“ angesehenen Personen den Ergebnissen zufolge nicht allein mit Hassbotschaften, sondern auch mit Gewalt. Insbesondere Sympathisanten, Mitglieder und Funktionäre der Partei Alternative für Deutschland (AfD) seien Gewalt bis hin zu Körperverletzungen ausgesetzt. Die landläufige Annahme, Linksextremisten verübten überwiegend Gewalt gegen Sachen, Rechtsextremisten dagegen gegen Personen, bestätigten die offiziellen Daten nicht: Die polizeiliche Statistik verzeichne seit 2009 mehr Körperverletzungen durch Linksextremisten und andere Linke als durch Rechtsextremisten und Rechte, betonten die Forscher. Wie schon in der ersten Studie kritisierten die Wissenschaftler, dass viele Gewaltdelikte der nichtextremistischen Linken zugeordnet würde, ohne dass öffentlich thematisiert werde, wer diese linken Gewalttäter seien. Für nicht wenige Linksextremisten – so ein Ergebnis der Befragungen – dürften die in Gewalt ausgelebten Aggressionen einen gewissen „Kick“ darstellen, der wichtiger sei als die politischen Inhalte.
Die Forschergruppe hält den aktuellen Linksradikalismus und Linksextremismus nicht für eine aktuelle Gefährdung der Demokratie in Deutschland. Es bestehe aber die Gefahr, dass die ohnehin schon hohe Gewaltbereitschaft von Linksextremisten steigen könnte, sollten sich die politischen Auseinandersetzungen zwischen den politischen Lagern weiter radikalisieren. Die Wissenschaftler kritisieren, dass es an einer Abgrenzung von gemäßigten und radikalen Linken gegenüber gewaltbereiten Linksextremisten mangele.
In die vertiefte Auswertung bezogen die Wissenschaftler eine auf Basis des Fragebogens des Projektes geführte Online-Befragung, an der sich nach Angaben der Betreiber der Internetseite 36.000 Menschen beteiligt haben, ebenso mit ein wie einen Vergleich zwischen Personen, die sich selbst als weit rechts oder weit links einstuften. Dabei habe sich gezeigt, dass ein nennenswerter Anteil derer, die sich politisch selbst als äußerst rechts einstuften, viele linksextreme Einstellungsdimensionen bejahten. Von Befragten, die sich als äußerst links bezeichneten, sei knapp die Hälfte unter die Charakterisierung „linksextrem“ oder „linksradikal“ gefallen, von äußerst rechts eingestellten Personen sei es mehr als jede fünfte befragte Person gewesen. Eine tiefergehende Analyse der Gemeinsamkeiten von Links- und Rechtsextremisten sollte nach Meinung der Wissenschaftler Gegenstand zukünftiger Untersuchungen sein.
Die Nachbefragung habe ergeben, dass einige Statements von den Befragten im Detail unterschiedlich, aber im Grundsatz ähnlich verstanden wurden. Die Teilnehmer der Online-Befragung hätten den „weichen Items“ mit sehr breiter Mehrheit zugestimmt, bei den „harten Items“ lägen die Anteile aber zum Teil deutlich unter dem Zustimmungsanteil von Linksextremisten. So sind zum Beispiel 73 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Auffassung, unsere Demokratie sei keine echte, da die Wirtschaft das Sagen habe und nicht die Wähler bestimmten. Diese Auffassung teilten sie mit 79 Prozent der Linksextremisten. Anders sieht es aus bei der Zustimmung zur Aussage, dass nur im Sozialismus/Kommunismus ein menschenwürdiges Leben möglich sei: Mehr als die Hälfte der Linksextremisten bejahte diese Annahme nach Angaben der Wissenschaftler, aber nur ein Viertel der Teilnehmer der Online-Befragung.
Auf Basis der vertieften Analyse erfolgte eine Charakterisierung von Linksextremisten. Unter den Befragten, die drei Vierteln oder mehr der Aussagen zustimmen und damit als linksextrem gelten, fänden sich nach Angaben der Wissenschaftlern zufolge überdurchschnittlich häufig Ostdeutsche, Personen mit Haupt- oder Volksschulabschluss, Arbeitslose, jüngere Befragte, Konfessionslose, Arbeiter und Landwirte. Eine linksradikale Einstellung würde überdurchschnittlich häufig von jüngeren und weiblichen Befragten sowie Wähler der Partei Die Linke und insbesondere Nichtwähler geteilt.
Ein weiteres Kapitel widmeten die Wissenschaftler der Befragung linksradikaler und linksextremer Jugendlicher. Die Auswertung dieser qualitativen Analyse macht nach Einschätzung der Wissenschaftler die Trennlinien zwischen Linksradikalen und Linksextremisten deutlich sichtbar. Erstere wollen das gegebene gesellschaftliche und politische System reformieren und nicht abschaffen. Radikale und extreme Linke zielen hingegen auf die Überwindung des Kapitalismus und die Etablierung eines neuen politischen Systems. Linksextreme sähen stärker als Linksradikale einen engen Zusammenhang zwischen der Wirtschaftsordnung und der politischen Ordnung, sie werteten insofern die parlamentarische Demokratie und den Rechtsstaat als reine Herrschaftsinstrumente des Kapitals. Zentrale Themen und Bezugspunkte für alle links eingestellten Befragten sind „soziale Gerechtigkeit“, ein „Kampf gegen rechts“, „Flüchtlinge/Asyl“ sowie eine fundamentale Kritik an der Globalisierung, wie die Studie weiter ergab.
Drei Befragungen jugendlicher Besucher in verschiedenen DDR-Gedenkstätten durch den Forschungsverbund zeigen dessen Wissenschaftlern zufolge, wie kompliziert und komplex Präventionsstrategien seien. Die weit überwiegende Mehrheit der Jugendlichen habe keinen Zusammenhang zwischen kommunistischer Bewegungs- und Regimephase erkennen können. Nach Angaben der Wissenschaftler beurteilten sie die DDR, insbesondere die DDR-Staatssicherheit (Stasi), sehr negativ, viele konnten sich unter dem aktuellen Linksradikalismus/Linksextremismus nichts Konkretes vorstellen. Die Hälfte der Interviewten habe sich zum Beispiel außerstande gesehen, eine Gruppe oder Partei zu nennen, die linksradikal oder linksextremistisch ausgerichtet ist. Eine Mehrheit habe die Aussage abgelehnt, sozialistische und kommunistische Ideen würden in politische Systeme münden, die dem der DDR ähnelten. Etwa ein Drittel der befragten Jugendlichen habe die Demokratie in Deutschland durch Linksextremisten gefährdet gesehen.
„Obschon Linksextremisten keinen Zweifel an ihrer Demokratieverachtung und ihrer fundamentalen Ablehnung der Zivilgesellschaft lassen, haben nichtextremistische linke Gruppen häufig keine Bedenken, mit ihnen in lokalen, regionalen und auch bundesweiten Aktionsbündnissen zusammenzuarbeiten“, sagen die Wissenschaftler. Dies sei beispielsweise dann der Fall, wenn es gegen die AfD gehe –wie entsprechenden Aufrufen auf der Website linksunten.indymedia zu entnehmen sei. „Die verbale Radikalität und offen zur Schau gestellte Gewaltbereitschaft Linksextremer strahlen offenbar auf derzeit nicht gewaltbereite linke Jugendliche aus, die sich zumeist nicht von politisch motivierter Gewalt distanzieren.“
Die Forscher sagten, „aus der Selbstgewissheit, zu den ,Auserwählten‘ zu gehören, also zu den revolutionären Eliten, speist sich die Selbstermächtigung von Linksextremisten, anderen vorschreiben zu wollen, was sie zu tun und zu lassen haben.“ Doch die Anmaßung, sich als Revolutionswächter aufzuspielen, stoße auf Widerspruch bis weit ins linke Milieu hinein.
Die Ergebnisse des Projektes erscheinen am 12. Juli 2016 als Buch:
- Monika Deutz-Schroeder/Klaus Schroeder: Linksextreme Einstellungen und Feindbilder. Befragungen, Statistiken und Analysen, Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main, 411 Seiten, 59,90 Euro.
- Eine längere Zusammenfassung der Ergebnisse des Projektes kann beim Forschungsverbund SED-Staat angefordert werden. Dort können auch Interviewwünsche angemeldet werden (Telefon: 030/838-52091, E-Mail: apt@zedat.fu-berlin.de).
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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