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Wissenschaft
Wurde das Leben in den Urzeitmeeren im Laufe der Jahrmillionen zunehmend gefährlicher? Dieser Frage sind WissenschaftlerInnen des Naturkundemuseums Stuttgart und der Universität Uppsala in Schweden nachgegangen und haben dafür hunderte von Fischsaurierfossilen aus der Zeit der Trias vor 240 Millionen Jahren und der Zeit des Jurameeres vor ca. 180 Millionen Jahren untersucht. Die Forscher hatten in den Museumssammlungen bemerkt, dass die an den Skeletten der Fossilien sichtbaren Verletzungen -Pathologien- zum großen Teil ähnlich sind. Sie waren daraufhin überzeugt, durch genaue Analysen der Knochen mehr über die Biologie der Meeresreptilien des Erdmittelalters herausfinden zu können.
In einem von der DFG geförderten Forschungsprojekt untersuchten sie, welche Faktoren den größten Einfluss auf die Verletzungen von Meeresreptilen hatten. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.
Das Naturkundemuseum Stuttgart verfügt über eine weltweit bedeutende Ichthyosaurier-Sammlung mit zahlreichen Individuen aus der Zeit des Juras in Südwestdeutschland. Hier begannen die Stuttgarter Fischsaurierexpertinnen, Dr. Erin Maxwell und Dr. Judith Pardo-Pérez sowie der Wirbeltierpaläontologe Dr. Ben Kear aus Uppsala in Schweden mit ihrer Forschungsarbeit. Durch die exzellenten Erhaltungsbedingungen im Posidonienschiefer verraten die Fossilien viel über das Aussehen der ausgestorbenen Meeressaurier. Auch Spuren von Knochenbrüchen, Krankheiten und Skelettschäden sowie verheilte Bissspuren blieben erhalten. Die WissenschaftlerInnen kategorisierten bei über 100 Fossilien der Stuttgarter Sammlung die Art und Verteilung dieser Verletzungen und stellten fest, dass diese nicht zufällig waren. Beispielsweise zeigten ein Viertel der Schädel des Topräubers im Jurameer, Temnodontosaurus, Bisspuren von Artgenossen. Auch der kleinere Fischsaurier Stenopterygius zeigte diese Verletzungen. Gebrochene, aber verheilte oder im Heilungsprozess befindliche Rippen wurden bei allen Arten gefunden.
Die ForscherInnen fragten sich auf dieser Grundlage, ob das gleiche Bild in früheren Zeitperioden, wie der Trias (vor 240 Millionen Jahren) auch zu finden sei. Skelettverletzungen und -krankheiten bei triassischen Meeresreptilien wurden bis dato in der Literatur selten beschrieben. War das ein Indiz dafür, dass das Leben in den Urzeitmeeren im Lauf der Jahrmillionen, zum Beispiel durch Fressfeinde, immer gefährlicher wurde? Um diese Frage zu beantworten, analysierten sie das Ausmaß und die Art der Skelettschäden bei weiteren 200 Ichthyosauriern der Fundstelle Monte San Giorgio aus der Mitteltrias in Sammlungen in Zürich und Mailand. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden daraufhin statistisch ausgewertet. Der Monte San Giorgio ist die bedeutendste Fundstelle für marine Fossilien der Mitteltrias und wurde von der UNESCO zum Welterbe ernannt.
„Im Hinblick auf die Biologie und das Verhalten der Tiere sind die Resultate unserer Beobachtungen besonders interessant. Insgesamt waren Skelettverletzungen bei triassischen und jurassischen Arten in ähnlicher Zahl vorhanden. Trias-Ichthyosaurier waren also nicht gesünder als ihre Verwandten aus dem Jura“, so Dr. Erin Maxwell.
Die WissenschaftlerInnen schließen damit aus, dass die Konkurrenz und der Prädationsdruck in der Meeresumwelt von Trias und Jura im Laufe der Jahrmillionen an Intensität zugenommen haben.
Der Vergleich der am häufigsten vorkommenden Ichthyosaurier aus beiden Zeitperioden - Mixosaurus aus der Trias und Stenopterygius aus dem Jura - zeigt allerdings, dass sich die Skelettverletzungen unterscheiden. Bei Mixosaurus konzentrieren sich diese auf die Hinterflosse und den Schwanz. Stenopterygius weist hier die wenigsten Verletzungen auf, stattdessen im Rumpfbereich und an den Vorderflossen die meisten. Die WissenschaftlerInnen interpretieren die beobachteten Unterschiede in der Verteilung der Verletzungen als Folge von Änderungen der Körperform und des Schwimmstils. Die 240 Millionen Jahre alten Trias-Ichthyosaurier hatten eine länglichere Form mit kleiner Schwanzflosse. Diese war für traumatische Verletzungen und Gelenkerkrankungen anfällig. Bei Ichthyosauriern aus dem Jura hingegen, wird die Schwanzflosse mit Weichgeweben stabilisiert. Daher führen mechanische Beanspruchungen, die diese Region betreffen, nicht zu Gelenkbelastungen.
Eine ähnliche Ursache vermuten die ExpertInnen für die hohe Häufigkeit gebrochener und wieder geheilter Rippen bei Stenopterygius, die bei Mixosaurus nicht beobachtet wurden. Schnelleres, weniger aalähnliches Schwimmen erhöht die Wirksamkeit des Rammverhaltens und damit die Wahrscheinlichkeit von traumatischen Verletzungen des Rumpfes der Fischsaurier. Die Verletzungen ergeben sich aus Kämpfen zwischen Tieren derselben Art sowie fehlgeschlagenen Versuchen, sich Beute abzunehmen.
Die WissenschaftlerInnen schließen aus ihrer Forschungsarbeit, dass Änderungen des Ichthyosaurier-Bauplans einen größeren Einfluss auf die Art und Häufigkeit der beobachteten Pathologien haben als Änderungen auf der Ökosystemebene. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden nun in der Fachzeitschrift Scientific Reports veröffentlicht.
Pardo-Pérez, J.M., Kear, B.P. & Maxwell, E.E. 2020. Skeletal pathologies track body plan evolution in ichthyosaurs. Scientific Reports 10, 4206.
doi: https://doi.org/10.1038/s41598-020-61070-7
http://www.naturkundemuseum-bw.de
https://smnstuttgart.com/
Das Fossil des Fischsauriers Stenopterygius, der vor 180 Millionen Jahren in Baden-Württemberg lebte ...
SMNS, M. Eklund
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Ein Modell des Fischsauriers Mixosaurus im Naturkundemuseum Stuttgart
SMNS, T. Wilhelm
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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