idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
06.05.2020 11:29

Alles Verschwörung!

Dr. Katarina Werneburg Stabsstelle Universitätskommunikation/Medienredaktion
Universität Leipzig

    Bill Gates hat das Virus in die Welt gesetzt, die Regierung will die Bürger mit dem Virus versklaven und am Ende gibt es überhaupt kein Virus: Verschwörungen wie diese geistern seit Beginn der Corona-Krise durch die sozialen und alternativen Medien. „Viele Krisen erzeugen Angst und Ohnmachtsgefühle und sind mit Unsicherheit und Ungewissheit behaftet. Menschen streben aber nach Sicherheit und Gewissheit, nach Mustern, Sinn und Kontrolle“, sagt Kommunikationswissenschaftler Dr. Uwe Krüger. Der Sozialpsychologe Dr. Oliver Decker sieht das ähnlich: „Diese Annahmen reduzieren Komplexität, gestatten es zudem, eigene Ängste zu binden und Aggressionen berechtigterweise zu äußern.“

    Verschwörungstheorie ist ein Wort, mit dem sich die Wissenschaft schwertut. Der Begriff sei zu schwammig und zu ungenau. "Er wird häufig als Kampfbegriff gegen alternative Deutungen oder unliebsame Mutmaßungen verwendet. Das delegitimiert potenziell auch berechtigte Kritik. Zudem handelt es sich nicht um Theorien im wissenschaftlichen Sinn", sagt Dr. Uwe Krüger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Daher splittet er das Phänomen auf in Verschwörungshypothesen, die rational begründet und empirisch korrekturfähig sind, und Verschwörungsideologien, die abseits aller Fakten bestimmte Feindbilder bedienen und sich gegen Korrekturen und Argumente immunisieren.

    Der Wunsch nach Sicherheit und autoritären Reaktionen

    Dr. Oliver Decker vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung (KReDo) führt neben den Theorien und Ideologien noch den Begriff der Verschwörungsmentalitäten an. Sie bezeichnen das Bedürfnis, diese Ideologien zur Verfügung zu haben. Es klingt scheinbar paradox, denn gerade das Erleben einer Bedrohung bringt den Anhängern dieser Mutmaßungen und Ideologien Sicherheit: "Sie liefern die Chance, den psychischen Druck, den die Bedrohung erzeugt, zu entlasten: Man weiß, wer der ‚Feind‘ ist und kann dann die Spannung in Gegenstrategien abführen. Innerpsychische Konflikte, welche für Individuen nicht aushaltbar oder integrierbar sind, werden in die Außenwelt verlagert und können so leichter ausgehalten werden. Zudem bieten Ideologien die Möglichkeit, sich als Teil einer größeren Gruppe zu erleben oder sie ja tatsächlich zu bilden", sagt Decker. Zugleich beobachtet er den Wunsch nach autoritären Maßnahmen in der Öffentlichkeit. In einer Lage, die durch Unwissen geprägt ist, sei es sehr wichtig, dieses Unwissen auch zu formulieren. "Menschen wünschen sich eine Autorität, die sagt, was richtig und falsch, was notwendig und geboten ist. Auch das entspringt dem Wunsch nach Sicherheit – einer autoritären Sicherheit, die durch Konventionen Leitplanken liefert. Die Kehrseite ist autoritäre Aggression gegen ‚Abweichende‘."

    Von geheimen Kräften und der Entscheidungsschlacht

    Allgemeingültige Merkmale einer Verschwörungsideologie lassen sich laut Krüger nur schwer ausmachen. Meist sind es Erzählungen, die von mächtigen Akteuren handeln, die sich im Geheimen zusammentun, um dem Gemeinwohl zu schaden und ihre partikularen Ziele durchzusetzen. "Stößt man nun auf eine Annahme wie die, dass Bill Gates am Ausbruch der Corona-Krise schuld ist, weil ein von seiner Stiftung unterstütztes englisches Institut Patente am Impfstoff gegen das Coronavirus halten soll und Gates vom Ausbruch der Seuche profitiere, dann gilt es, diese Sinnkonstruktion kritisch zu hinterfragen", rät Uwe Krüger. "Das heißt, es gilt zu prüfen: Stimmen die einzelnen Fakten? Und ist der Zusammenhang, der zwischen ihnen hergestellt wird, beziehungsweise die Deutung der Fakten, plausibel?" Neben diesen Ideologien zu den Hintergründen der Bedrohung, nutzen andere die Krise selbst als Mittel zum Zweck. Gerade bei rechten Gruppierungen komme die Idee einer Entscheidungsschlacht auf, die von einer bisher im Hintergrund agierenden, guten Macht gegen die Mächte des Bösen geführt wird, sagt Oliver Decker. "Es gibt einen kulturellen Referenzrahmen, mit Krisen umzugehen und einer ist die Phantasmagorie der Apokalypse – einer reinigenden Endschlacht, bevor das Paradies kommt."

    Alternativmedien genauso kritisch konsumieren

    Sich in alternativen Medien zu informieren, hält Kommunikationswissenschaftler Krüger auch in Corona-Zeiten für legitim. "Wir beobachten bei Krisen häufig das Phänomen, dass die großen Medien aus verantwortungsethischen Motiven heraus – wenn es um Leben und Tod geht, wie bei Kriegen und außenpolitischen Krisen oder jetzt eben einer Pandemie – phasenweise ihre Funktionen der Machtkritik und der Gewährleistung von Meinungsvielfalt und demokratischem Diskurs vernachlässigen." Diese Ansicht teilt Oliver Decker: "Es kommt auf die Diskussion an – deliberative Demokratie heißt in der Praxis: abwägen, Argumente austauschen, gemeinsam überlegen. Das kommt gegenwärtig etwas zu kurz und das ist tatsächlich auch in der Verantwortung der Medien: Sie beschränken sich momentan zu sehr auf die Begleitung der Krise als ihre kritische Kommentierung." Dennoch sollte sich der Leser bewusst sein, dass auch alternative Experten nicht immer richtigen lägen und alternative Medien zuweilen aus rein ideologischen Gründen gegen den Mainstream seien. "Alternativmedien sollten genauso kritisch wie Mainstream-Medien konsumiert werden", sagt Krüger. Es gelte, Sinnkonstruktionen zu hinterfragen und sich auch auf Websites wie Mimikama und Faktencheck zu informieren, die auf die Entlarvung von Falschmeldungen spezialisiert sind.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Uwe Krüger
    Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft
    Lehr- und Forschungsbereich Journalismus
    Telefon: +49 341 97-35756
    E-Mail: uwe.krueger@uni-leipzig.de
    Web: http://www.kmw.uni-leipzig.de

    PD Dr. Oliver Decker
    Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig
    Telefon: +49 341 9715441
    E-Mail: oliver.decker@uni-leipzig.de
    Web: http://www.kredo.uni-leipzig.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik, Psychologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).