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29.03.2004 16:14

Autorität und moralische Regeln im Schulalltag

Volker Schulte Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Studien an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig zielen auf Stärkung der Erziehungsaufgabe und Erhöhung der psychologischen Kompetenz der Lehrer.

    ''Erziehungspersonen haben im Umgang mit Regelübertritten ein sehr gutes Potenzial, die moralische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinflussen.'' Was einfach und plausibel klingt, stößt im Schulalltag immer wieder an Grenzen. Zum einen verstehen sich Lehrer vorrangig als Unterrichtende. Zum anderen fehlt ihnen Wissen im Umgang mit Regeln und Regelübertritten. Der Leipziger Psychologin Dr. Brigitte Latzko geht es darum, dieses Manko in der Lehrerbildung zu benennen und auszuräumen.

    ''Die Schule ist Ort der amoralischen Erziehung.'' Der Satz schallt wie eine Ohrfeige. Das soll er auch: aufrütteln, provozieren. Nicht weniger, nicht mehr. Natürlich ist er verkürzt, zugespitzt auf einen Punkt: Lehrer werden eher und mehr belogen als Eltern. ''Das ist generell so üblich'', schildert Dr. Brigitte Latzko. Bereits als Doktorandin an der Universität Heidelberg hat sich die Diplompsychologin der ''Beurteilung sozialer Regeln durch Jugendliche'' zugewandt. In weitergehenden Studien analysierte sie Ursachen für die hohe Akzeptanz von Regelübertritten an Schulen. Derzeit sucht sie nach schulspezifischen Faktoren, die die Akzeptanz und die Beurteilung von Regeln beeinflussen. ''Es werden immer wieder neue Fragen aufgeworfen'', bilanziert sie die fast zehnjährige Arbeit. Die bewältigt die wissenschaftliche Mitarbeiterin seit 2001 an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig gemeinsam mit studentischen Hilfskräften sowie Seminar- und Magisterarbeiten. Sie weiß: ''Es ist immer noch ein sehr sensibles Forschungsfeld.''
    Warum Lehrer häufiger belogen werden? ''Schüler berichten, dass Lehrer zum einen weniger konsequent sind und zum anderen nicht differenziert eingreifen.'' Egal, ob ein Schüler eine moralische Grenze überschreitet oder eine konventionelle Regel verletzt - Lehrer reagieren gleichförmig, zumeist mit Nachsitzen oder ''Motzen''. Darauf gründet sie die These: ''Die Schule ist Ort der amoralischen Erziehung.'' Über diese provokante Feststellung hinaus hofft sie, mit faktischen Ergebnissen aus Befragungen und Beobachtungen Gehör zu finden in einer Debatte, in der sich alle Beteiligten noch immer zuerst angegriffen fühlen. Es ist die immer wieder kehrende Diskussion um die Funktion von Schule: Kinder erziehen oder Schülern Wissen vermitteln.
    ''In meinen Augen sehe ich die Schule als Chance'', antwortet Dr. Brigitte Latzko auf die ''alte Frage''. Lehrende haben die Möglichkeit, ''förderlich auf die Entwicklung des Einzelnen einzugehen''. Das ist der Kern, auf den sie sich stützt. Auf diesen Gedanken gründet die Leipziger Psychologin - nicht zuletzt mit wachem Blick auf das Konzept der Ganztagsschule - eine neue Frage: Sind sich Lehrer dessen bewusst; und können sie das leisten? Die Antwort auf diese Frage fällt Dr. Latzko schwerer. Nicht, weil sie dazu neigen würde, in die gängige Lehrerschelte einzustimmen. Sondern, weil sie feststellen muss: ''In der Lehramtsausbildung werden Lehrer nur in geringem Maße unterstützt, die Kompetenz im Umgang mit sozialen Regeln zu erwerben.'' Der Anteil, den die Psychologie in der Ausbildung im Freistaat Sachsen einnimmt, ist relativ begrenzt.
    Doch längst haben in der Erziehungswissenschaft sowohl empirische Untersuchungen als auch theoretische Studien gezeigt: Moralische und konventionelle Regelübertritte sprechen unterschiedliche Ebenen an und bedürfen unterschiedlicher Antworten. Allein die Handlungsebene anzusprechen, wie es nach Regelübertritten in der Schule zumeist geschieht, greift nicht tief genug. Damit die Verletzung einer moralischen Regel auch als ein Regelübertritt erkannt und verstanden wird, müssen auch die kognitive und die emotionale Ebene - Wie fühlen sich die Opfer? Warum darf ich das nicht tun? - angesprochen werden. Und nicht zuletzt gewinnt auf diesem Wege auch derjenige an Autorität, der den Regelübertritt benennt und ahndet.
    Derzeit laufen zwei Teilstudien, um die Idee, dass sich Autorität nicht qua Status oder Berufserfahrung einstellt, sondern aus Handeln bzw. Nichthandeln erwächst, zu ergründen. Eine Magisterarbeit beschäftigt sich mit dem besonderen Verhältnis von Lehrern und Schülern in einem Internat; und an verschiedenen Grundschulen erfassen Lehrer mittels eines Tagesbuches konkrete Regelübertritte, im nächsten Schritt sollen die Beobachtungen auf den Unterricht und auf den Schulhof ausgedehnt werden. ''Warum sich Lehrer anders als Eltern verhalten, wird sich hier erst weisen'', skizziert Dr. Latzko die noch offene Frage.
    Ob eine Erziehungsperson Autorität genießt oder nicht, zeigt sich letztlich auf der emotionalen Ebene. Die bisherigen Studien belegen, so das Resümee von Dr. Latzko, die Sanktionen von Lehrern sind Schülern ''scheißegal'', hingegen vermag die Kritik von Eltern ein schlechtes Gewissen, Unsicherheit oder Unruhe auszulösen. Eine derartige Autorität auch als Lehrer auszustrahlen, ''kann man im Umgang mit Regeln und Regelübertritten lernen''. Und muss man auch, ist doch ''Autorität das Fundament für die Wissensvermittlung''. Davon ist Dr. Brigitte Latzko überzeugt. Es geht nicht darum, den Lehramtsstudenten und Lehrenden ein ''Trainingsprogramm'' aufzudrücken. Die Idee zielt auf eine ''Grundhaltung, sich auch als Erzieher zu verstehen'' - damit Schule nicht allein einen Bildungsauftrag erfüllt, sondern ebenso Werte vermitteln kann.
    Daniela Weber


    Weitere Informationen:
    Dr. Brigitte Latzko
    Telefon: 0341 97-31436
    E-Mail: latzko@rz.uni-leipzig.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Pädagogik / Bildung, Psychologie
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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