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14.02.2022 10:35

Zu viel Imkerei in Schweizer Städten könnte sich nachteilig auf Bestäuber auswirken

Beate Kittl Medienkontakt WSL Birmensdorf
Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL

    In Schweizer Städten boomt die Imkerei. Doch die unkontrollierte Zunahme von Honigbienen übt zunehmend Druck auf wilde Bestäuber aus und gefährdet damit die städtische Biodiversität, wie eine neue Studie der Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL berichtet. Die Resultate legen nahe, dass die Imkerei in Städten besser reguliert werden muss.

    Die neue Studie hatte zum Ziel, die Nachhaltigkeit urbaner Bienenhaltung in der Schweiz einzuschätzen. Dazu fertigten die beiden WSL Forscher Joan Casanelles Abella und Marco Moretti ein Rechenmodell an, dass die Anzahl Bienenstöcke in vierzehn Schweizer Städten mit dem dortigen Blütenagebot vergleicht. Sie stellten fest, dass sich die Menge an Imkereistandorten zwischen 2012 und 2018 von insgesamt 3139 auf 9370 beinahe verdreifacht hat. Für die meisten Städte ergab das Modell eine negative Bilanz, was darauf hindeutet, dass das Angebot an Blütenressourcen nicht ausreicht, um den Bedarf der Honigbienen zu decken. «Die Kernaussage unserer Resultate ist, dass die Grünflächen mit der bestehenden Dichte der Bienenstöcke nicht mithalten können», sagt Casanelles Abella.

    Gemäss der Empfehlung einer wissenschaftlichen Studie aus Grossbritannien sind 7.5 Bienenstöcke pro km2 ein geeigneter Grenzwert für eine nachhaltige Bienendichte. In der Schweiz wird dieser Wert jedoch nur in ländlichen Gebieten eingehalten, während die Bienenvölker in den Städten viel dichter verteilt sind und den Grenzwert häufig überschreiten. Auch wenn sie mit einer Modellrechnung eine Zunahme an Grünflächen simulierten, zeigte sich keine erhebliche Besserung. «Natürlich ist die Vergrösserung einer Grünfläche um 75 Prozent ohnehin sehr unrealistisch, aber es zeigt, dass in Wahrheit einfach nicht genügend Ressourcen vorhanden sind», sagt Casanelles Abella.

    Dazu kommt, dass die Honigbienen nicht die einzigen Bestäuberinsekten in den Städten sind. «Wenn man ein System über seine Tragfähigkeit hinaus belastet, dann erschöpft man zugleich die enthaltenen Ressourcen. Dies wiederum hat dann zur Folge, dass die anderen Organismen, die von derselben Ressource leben, darunter leiden», sagt Casanelles Abella. Damit betrifft der Nahrungsmangel alle Insekten, die sich von denselben Blütenpflanzen ernähren wie die gezüchteten Honigbienen, unter anderem die Wildbienen. Von den rund 600 Wildbienenarten in der Schweiz gelten rund 45 Prozent als bedroht. Städte können eine erstaunlich grosse Artenvielfalt von Wildbienen enthalten, 164 im Fall von Zürich, zeigte unlängst eine WSL-Studie.

    Zum jetzigen Zeitpunkt ist das genaue Ausmass der Konsequenzen für die Biodiversität nur schwer abzuschätzen. Die städtische Imkerei trägt zur bereits abnehmenden Wildbienenvielfalt bei, wobei die Bienen unter den kombinierten Auswirkungen aller aktuellen globalen Stressfaktoren leiden. Dazu gehören der Klimawandel, der Mangel an Blütenressourcen und Schädlinge. «Wir befinden uns in einer Phase, in der die biologische Vielfalt kontinuierlich abnimmt und die Natur bereits mit grossen Herausforderungen konfrontiert ist», sagt Casanelles Abella.

    Auch Honigbienen sind Nutztiere

    Laut Casanelles Abella mangelt es primär an Information und Kontrolle. «Die Menschen nehmen Honigbienen oft als wilde Tiere wahr, weil sie frei leben und sich frei bewegen. In Wirklichkeit werden sie aber gleich wie andere Nutztiere gehalten und gezüchtet. Wie für diese muss der Mensch auch für Honigbienen ein ausreichendes Futterangebot zur Verfügung stellen.»

    Traditionell gesehen ist die Imkerei eine Form der Landwirtschaft, in Städten ist die Zucht von Honigbienen aber vermehrt zu einer Freizeitaktivität mutiert. Meist halten Einzelpersonen die Bienen, weil sie damit einen Beitrag zur Natur leisten möchten. Der Einstieg in die Hobby-Imkerei ist denkbar einfach, gesetzlich vorgeschrieben ist nur die Registrierung des neu angesiedelten Bienenvolks. Eine entsprechende Ausbildung wird lediglich empfohlen.

    Es gibt keine Vorschriften darüber, wo und in welchem Abstand die Bienenstöcke aufgestellt werden dürfen. «Wir müssen uns eine clevere Strategie ausdenken, um die Dichte der Bienenstöcke zu kontrollieren, so wie man es auch bei anderen Nutztieren tut, ohne dabei den guten Willen der Menschen negativ zu beeinflussen», sagt Abella. Ein guter Ansatz wäre gemäss Abella die Einführung gesetzlich vorgeschriebener Mindestabstände zwischen den Bienenvölkern. Zusätzlich sollte man städtische Gebiete festlegen, die für Wildbienen besonders wertvoll sind, sowie eine bessere Überwachung der verfügbaren Blütenressourcen ermöglichen. Dazu eignet sich zum Beispiel die Verwendung von Biodiversitätskarten.

    Ausserdem muss die Bevölkerung besser über die Auswirkungen der unkontrollierten Imkerei aufgeklärt werden, sodass die städtische Biodiversität nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Städte beinhalten wichtige Habitate und können, sofern sie nachhaltig bewirtschaftet werden, massgeblich zum Erhalt der Artenvielfalt beitragen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Marco Moretti, Senior Scientist
    Naturschutzbiologie
    marco.moretti@wsl.ch
    +41 44 739 26 74

    Joan Casanelles Abella
    Doktorand
    Naturschutzbiologie
    joan.casanelles@wsl.ch


    Originalpublikation:

    Casanelles-Abella, J.; Moretti, M., 2022: Challenging the sustainability of urban beekeeping using evidence from Swiss cities. npj Urban Sustainability, 2: 3 (5 pp.). doi: 10.1038/s42949-021-00046-6


    Weitere Informationen:

    https://www.wsl.ch/de/newsseiten/2022/standard-titel/zu-viel-imkerei-in-schweize...


    Bilder

    Eine Wilbiene (Xylocopa violacea) während sie Nektar sammelt.
    Eine Wilbiene (Xylocopa violacea) während sie Nektar sammelt.
    Sofia Mangili
    Sofia Mangili

    Eine farbenfrohe Blumenwiese, eine wichtige Nektarquelle für städtische Bestäuber.
    Eine farbenfrohe Blumenwiese, eine wichtige Nektarquelle für städtische Bestäuber.
    Sofia Mangili
    Sofia Mangili


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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