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02.09.2022 10:16

Stammesgeschichte der Jochalgen aufgeklärt

Gabriele Meseg-Rutzen Kommunikation und Marketing
Universität zu Köln

    Analysen des Erbgutes entschlüsseln die Stammesgeschichte der Jochalgen und identifizieren mehrere Ursprünge der Mehrzelligkeit, die auch für die Evolution von Landpflanzen notwendig war / Veröffentlichung in „Current Biology“

    Ein internationales Team geleitet von Forschern der Universitäten Köln und Göttingen hat die Stammesgeschichte der Jochalgen (Zygnematophyten) aufgeklärt. Ihre Ergebnisse entschlüsseln die internen Beziehungen der Zygnematophyten mithilfe modernster phylogenomischer Analysen und zeigen die mehrfache Entstehung von Mehrzelligkeit. Die Ergebnisse der Studie „A phylogenomically informed five-order system for the closest relatives of land plants“ wurden in der Zeitschrift Current Biology veröffentlicht.
    Landpflanzen sind extrem vielfältig in ihrer Struktur und stellen die komplexesten photosynthetischen Organismen dar. Ihre engsten Verwandten, die Jochalgen (Zygnematophyceae), haben dagegen einen viel einfacheren Bauplan. Diese Algen sind entweder einzellig oder bilden unverzweigte Fäden, was traditionell zur groben Einteilung in einzellige und fadenförmige Taxa verwendet wurde. Die Zygnematophyten umfassen rund 4000 Arten und weisen eine faszinierende morphologische Vielfalt auf – von den schönen Schmuckalgen (Desmidiaceen) bis hin zu fadenförmigen Arten, die für Massenentwicklungen in stehenden Gewässern (engl. „pond scum“) verantwortlich sind. Das wissenschaftliche Interesse an dieser Algengruppe ist derzeit sehr groß, denn die Forschung der letzten Jahre hat ergeben, dass diese Algen die nächsten Verwandten der Landpflanzen sind. Die Wissenschaftler waren von dieser Erkenntnis überrascht, da die Baupläne der Zygnematophyten weniger komplex sind als die jener Algen, die früher fälschlicherweise für die nächsten Verwandten der Landpflanzen gehalten wurden. Die Tatsache, dass sich die Zygnematophyten vor etwa 550 Millionen Jahren von ihrem letzten gemeinsamen Vorfahren mit den Pflanzen trennten und seither einen eigenen evolutionären Weg einschlugen, könnte der Grund für die deutliche morphologische Trennung sein.
    Das Forschungsteam nutzte Hunderte von Genen, um Zehntausende von molekularen Merkmalen zu sammeln, aus denen sich die tiefen evolutionären Beziehungen der Zygnematophyten ableiten lassen. „Die Taxonomie dieser Algen war jahrzehntelang ein ungelöstes Problem, da Analysen mit einzelnen oder wenigen Genen nicht in der Lage waren, alte evolutionäre Aufspaltungen aufzulösen. Jetzt stellen wir ein phylogenetisch fundiertes Fünf-Ordnungs-System der Zygnematophyten vor, das Wissenschaftler*innen helfen wird, sich in der evolutionären Vielfalt dieser Algen zurechtzufinden“, sagt Dr. Sebastian Hess von der Universität zu Köln. Darüber hinaus lieferte der neue Datensatz die Grundlage für statistische Analysen, die es den Forscher*innen ermöglichten, das wahrscheinlichste Muster der Bauplan-Evolution dieser wichtigen Algenklasse zu rekonstruieren. Diese Analysen deuten darauf hin, dass der letzte gemeinsame Vorfahre der Zygnematophyten eine einzellige Alge war und dass fadenförmiges Wachstum bei diesen Algen mehrmals unabhängig voneinander entstanden ist.
    Professor Dr. Jan de Vries von der Universität Göttingen betont: „Die Entwicklung dieser Algen hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf das Leben auf der Erde. Die heutigen Landpflanzen haben ausgefeilte vielzellige Körper, die den größten Teil der Biomasse an Land ausmachen. Die Erforschung der engsten Verwandten aus dem Reich der Algen erlaubt uns Rückschlüsse auf Merkmale wie den Bauplan des letzten gemeinsamen Vorfahren von Landpflanzen und Algen sowie auf die Entwicklungswege, die sie seit ihrer Trennung eingeschlagen haben.“
    Ein weiterer wichtiger Teil der Studie war die Wiederentdeckung von Mougeotiopsis, einer fadenförmigen Alge, die ursprünglich vor etwa 120 Jahren beschrieben wurde und seitdem nicht mehr untersucht wurde. Dieser Alge fehlen die Pyrenoide, die Chloroplasten-Substrukturen zur CO2-Fixierung bei der Photosynthese. Wie die Forscher*innen zeigen, stellt die Alge außerdem einen bislang unbekannten Evolutionszweig der Zygnematophyten dar, der mehrzelliges Wachstum entwickelt hat. Anna Busch von der Universität zu Köln, die die Alge lichtmikroskopisch untersucht hat, erklärt: „Die phylogenetische Stellung von Mougeotiopsis war eine große Überraschung. Die fadenförmige Alge ist am engsten mit einzelligen Arten verwandt und hat keine Pyrenoide. Das ist sehr ungewöhnlich, da alle anderen bekannten Zygnematophyten Pyrenoide besitzen.“ Die Evolutionsgeschichte von Mougeotiopsis markiert eines der fünf Vorkommen von echtem fädigem Wuchs innerhalb der Zygnematophyten. „Solche Erkenntnisse und das neue auf Phylogenomik basierende System sind grundlegend, um künftige vergleichende Analysen angemessen zu gestalten und die Entwicklung von zellulären Merkmalen und Bauplänen von Algen bis zu Pflanzen nachzuvollziehen“, sagt de Vries.
    Inhaltlicher Kontakt:
    Dr. Sebastian Hess
    Biozentrum der Universität zu Köln
    +49 221 470 4013
    sebastian.hess@uni-koeln.de
    https://www.zoologie.uni-koeln.de/hess.html

    Prof. Dr. Jan de Vries
    Institut für Mikrobiologie und Genetik
    Abteilung Angewandte Bioinformatik
    Georg-August-Universität Göttingen
    +49 (0)55) 39-13995
    devries.jan@uni-goettingen.de
    www.uni-goettingen.de/de/613776.html

    Presse und Kommunikation:
    Robert Hahn
    +49 221 470 3107
    r.hahn@verw.uni-koeln.de
    Veröffentlichung:
    https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(22)01299-4

    Verantwortlich: Dr. Elisabeth Hoffmann – e.hoffmann@verw.uni-koeln.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Geowissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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