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Wissenschaft
Studie der Makrosoziologin der Freien Universität Berlin, Prof. Dr. Céline Teney, sieht keinen wissenschaftlichen Beleg für eine „Polarisierung“ der Gesellschaft in Deutschland
Der Umgangston in sozialen Medien und TV-Talkshows mag Zweifel an der politischen Kultur wecken. Mit einer Polarisierung der Meinungen hat dies aber nichts zu tun. Das belegen Professor Dr. Céline Teney und Li Kathrin Rupieper in einer aktuellen Studie, die nun im Fachmagazin „Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie“ erschienen ist. Die Soziologinnen haben Daten aus drei Jahrzehnten ausgewertet und widersprechen der These, die Gesellschaft zerfalle in Lager. (Studie: https://link.springer.com/article/10.1007/s11577-023-00884-5 )
Wenn in der öffentlichen Debatte gegensätzliche Meinungen aufeinanderprallen, ist schnell von Polarisierung die Rede. Unterstrichen wird diese Interpretation durch Metaphern wie „die Gesellschaft driftet auseinander“ oder „die gesellschaftliche Kluft vertieft sich“. Doch lassen sich diese Behauptungen für Deutschland wissenschaftlich belegen? Oder verleitet die Schärfe der Meinungsäußerungen zu Alarmismus?
Potenzieller Konfliktherd: Globalisierung
Professor Dr. Céline Teney; Soziologin der Freien Universität Berlin und Li Kathrin Rupieper, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Leibniz Universität Hannover haben für Ihre Studie mit dem Titel „A New Social Conflict on Globalisation-Related Issues in Germany? A Longitudinal Perspective“ untersucht, ob folgenden Themen die Bevölkerung zwischen 1989 und 2019 in unversöhnliche Lager geteilt haben: Einwanderung, Europäische Union, offene Märkte und Umweltschutz.
„All diese Themen sind eng mit der Globalisierung verbunden, die laut einer landläufigen These den Nährboden für Polarisierungen aller Art bilde. Die Gesellschaft spalte sich in Gewinner, die nationale Grenzen überwinden wollten, und Verlierer, die nach nationalen Lösungen und Abschottung strebten“, sagte Céline Teney.
Reizthemen im Wandel der Zeit
Mithilfe des Politbarometers der Forschungsgruppe Wahlen analysierten die beiden Soziologinnen, für wie relevant die Deutschen die genannten Themen über einen Zeitraum von 30 Jahren hielten. Umfangreiche Datensätze des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften wiederum ließen Schlüsse zu, inwieweit bestimmte Meinungen mit soziodemografischen Merkmalen einhergehen. Dazu zählen Bildungsgrad, Geschlecht, Alter, Sozialisation in Ost oder West und Einkommen.
„Das Ergebnis ist eindeutig: Bei keinem einzigen der vier Themen sind die Ränder des Meinungsspektrums zu erratischen, gegnerischen Blöcken heranwachsen“, betont Céline Teney weiter. Demnach nimmt die Mehrheit der Deutschen seit Jahrzehnten kontinuierlich eine differenzierte Haltung gegenüber der Immigration ein. Zudem ist laut der Studie der Anteil derjenigen, die Einwanderung eher positiv sehen, gewachsen, während die Zahl der Gegner*innen gesunken ist.
Dass die Debatte zeitweise hitzig verlief, verweist demnach nicht auf eine Meinungspolarisierung. Vielmehr habe die sogenannte Flüchtlingskrise von 2015 das Thema in den Fokus gerückt, was manche politischen Kräfte für ihre Zwecke nutzen konnten. „Die Frage, ob die Märkte weiter liberalisiert oder abgeschottet werden sollten, stand für die Deutschen noch nie im Vordergrund. Es lässt sich überdies keine Meinungspolarisierung feststellen“, erklärt die Soziologin weiter. Mit Blick auf die Studie fügt sie hinzu: „Sorgen um die Umwelt treiben die Deutschen seit langem um. Immens zugenommen haben sie beispielsweise während des Dieselskandals 2017. Auch beim Thema Umwelt herrscht kein grundsätzliches Pro und Kontra: Deutschland streitet nicht darum, ob ihr Schutz sein müsse, sondern um die Art der Lösungen – und dies durchaus kontrovers.“
Fazit: Übereilte Schlüsse vermeiden
Es gibt also keine wissenschaftliche Grundlage dafür, die deutsche Gesellschaft als polarisiert zu beschreiben, wie die beiden Soziologinnen betonnen. Céline Teney und Li Kathrin Rupieper empfehlen, von Konflikten zu sprechen. In jeder gesunden Demokratie dienten Kontroversen dazu, einen pragmatischen Konsens zu finden. Metaphern wie „Kluft“ oder „Spaltung“ hätten in einer seriösen Berichterstattung über Deutschland nichts verloren.
Prof. Dr. Céline Teney, Research Group Macrosociology, Institut für Soziologie, Freie Universität Berlin, Garystraße 55, 14195 Berlin, E-Mail: celine.teney@fu-berlin.de
Die Studie „A New Social Conflict on Globalisation-Related Issues in Germany? A Longitudinal Perspective” ist abrufbar unter: https://link.springer.com/article/10.1007/s11577-023-00884-5
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
Gesellschaft, Politik, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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