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10.12.1998 15:30

"Ich kann doch nicht hellsehen"

Brigitte Nussbaum Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Westfaelische Wilhelms-Universität Münster

    Untersuchungen an der Universität Münster zu mathematischen Fähigkeiten von Primarstufen-Schülern

    Ernüchternde Ergebnisse über die Leistungen deutscher Schülerinnen und Schüler der Abschlußklassen lieferte die "Third International Mathematics and Science Study" (TIMSS). Im internationalen Vergleich der mathematischen Fähigkeiten belegen die Jugendlichen nur Mittelplätze. Daß dafür schon in der Primarstufe der Grundstein gelegt wird, zeigen Untersuchungen von Prof. Dr. Marianne Grassmann, Professorin für Didaktik der Mathematik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Über ihre Ergebnisse berichtet die neueste Ausgabe der "muz - Münsters Universitäts-Zeitung".

    Das Fazit Prof. Grassmanns zu den seit vier Jahren in der Primarstufe laufenden Befragungen ist niederschmetternd: "Kinder werden dazu erzogen, mit Zahlen zu rechnen, ohne deren Inhalt zu hinterfragen." Ein Beispiel dafür sind die sogenannten "Kapitänsaufgaben": Aus der Zahl der Masten des Schiffes und der Zahl der Beine der Matrosen sollen die Kinder das Alter des Kapitäns errechnen - was viele ohne zu hinterfragen tun. Auf die Frage, ob eine Lösung tatsächlich möglich sei, erhielt Grassmann unter anderem die Antwort: "Eigentlich nicht, aber wenn die Aufgabe so ist".

    "Es ist erschreckend", so Grassmann, "wie wenig es Schülern, aber auch Erwachsenen gelingt, im Unterricht gelernte Inhalte in angemessener Weise auf Realsituationen zu beziehen." Dabei würden die Kinder solche Aufgaben im Leben außerhalb der Schule als unrealistisch zurückweisen. Nur selten erhielt Grassmann ähnliche Antworten wie diese auf eine "Kapitänsaufgabe": "Ich kann doch nicht hellsehen".

    In der Befragung von Schülern zeigte sich deutlich, daß Kinder bei Schuleintritt noch recht kritisch an die ihnen gestellten Aufgaben herangehen. Doch in der dritten und vierten Klasse werden dann vermehrt Fehllösungen produziert, Fehllösungen, die erst durch den Mathematik-Unterricht anerzogen wurden. In keinem anderen Schulfach lasse sich, so die Mathematik-Didaktikerin, eine so deutliche Diskrepanz zwischen den Erfahrungen, die die Schüler innerhalb und außerhalb des Unterrichtes machen, feststellen.

    So sieht es Grassmann als vordringliche Aufgabe der Lehrerinnen an, die Fähigkeiten, die die Kinder außerhalb der Schule zeigen, im Unterricht zu berücksichtigen und die abstrakten Zahlenwerte und -operationen mit praktischen Erfahrungen zu verknüpfen. "Wir können nicht sagen, wie jede Sekunde des Unterrichts aussehen soll, wir können nur aufzeigen, wie Kinder lernen." Dazu hat sie mit Hilfe von Kollegen aus Potsdam und Berlin untersucht, welches mathematisc(e Vorwissen die Kinder in die Schule mitbringen. Dabei zeigte sich beispielsweise, das viele bereits bei Schuleintritt bis 20 zählen können - eine Tatsache, die das im Lehrplan vorgeschriebene schrittweise Erlernen der Zahlen ad absurdum führe.

    Ein weiteres Problem sind die sehr unterschiedlichen Voraussetzungen der Kinder und die große Uneinheitlichkeit von Klassen auch innerhalb einer Schule. Da müsse man die Freiheit geben, daß die eine fünf Aufgaben rechne, während der andere nur zwei Aufgaben in derselben Zeit löse.

    Eine konkrete Handlungsanweisung kann Grassmann geben: "Es ist wichtig, daß die Kinder Zeit und Aufmunterung bekommen, ihre eigenen Lösungsstrategien zu entwickeln und nicht nur denen zu folgen, die vom Lehrer vorgegeben werden." Die Lösungen seien dann zwar nicht immer korrekt, aber in der Diskussion über diese Lösungen lernten die Schüler von anderen Schülern mehr als von der Lehrerin. "Es ist schwierig, den Kindern eigene Wege zu erlauben", weiß Grassmann, denn diese Wege könnten ja auch in die Irre führen. "Aber am überzeugendsten ist es, wenn wir den Lehrerinnen zeigen können, daß die Kinder die Fähigkeit zur Problemlösung bereits haben."

    Wenn die Kinder selber nach Lösungen zum Beispiel von Textaufgaben suchen, tun sie dies mit Hilfe von Erfahrungen, die sie im Leben sammeln. Kinder müssen sich zu den Begriffen, die sie in der Mathematik lernen, ein Bild machen können, es dürfen nicht nur abstrakte Zeichen bleiben: "Sonst bleibt die Mathematik neben dem Leben stehen", so Grassmann.


    Weitere Informationen:

    http://wwwmath.uni-muenster.de/math/didaktik/u/grassma/index.htm


    Bilder

    Prof. Dr. Marianne Grassmann
    Prof. Dr. Marianne Grassmann

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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Mathematik, Pädagogik / Bildung, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

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