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22.07.2024 10:19

Olympische Spiele in Paris: Vom Streben nach Geschlechtergerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Frieden

Susann Sika Stabsstelle Universitätskommunikation / Medienredaktion
Universität Leipzig

    Wenn Olympische Spiele in Paris stattfanden, gab es stets Neuigkeiten in Sachen Gleichberechtigung der Frauen: Nachdem der Auftakt in Athen 1896 nur Männern vorbehalten war, gingen 1900 in Paris bei den zweiten Spielen der Neuzeit erstmals 22 Sportlerinnen an den Start. Erste Olympiasiegerin in der Geschichte wurde – von den Medien weitgehend ignoriert - die Seglerin Helene de Pourtales. 24 Jahre später fanden die Spiele erneut in Paris statt, nun durften erstmals auch Fechterinnen teilnehmen. Unter den mehr als 3.000 Aktiven waren 135 Sportlerinnen. Jetzt wird die Stadt an der Seine vom 26. Juli bis 11. August 2024 zum dritten Mal Gastgeberin der Olympischen Spiele sein.

    Sportsoziologin Dr. Petra Tzschoppe von der Universität Leipzig blickt aus diesem Anlass auf das Thema Geschlechtergerechtigkeit und weitere Entwicklungen beim weltweit populärsten Multisport-Ereignis.

    Langer Anlauf bis zu erkennbaren Fortschritten

    „Es hat lange gebraucht, bis deutliche Schritte für die Gleichberechtigung von Frauen in der Olympischen Bewegung gegangen wurden“, sagt Tzschoppe. Bis 1981 dauerte es, dass sich zu den ,Herren der Ringe‘ im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) erstmals zwei Frauen gesellen durften. Im letzten Jahrzehnt ist ihre Zahl merklich gewachsen. Inzwischen sind 41 Prozent der IOC-Mitglieder weiblich. Spürbare Impulse setzte in den 1980er Jahren auch die zweite Frauenbewegung, sichtbar in der wachsenden Zahl von Athletinnen ebenso wie in mehr Wettbewerben für Frauen. Die Olympischen Spiele 2012 in London markierten Tzschoppe zufolge einen Meilenstein, als mit der Aufnahme der Sportart Boxen erstmals alle Disziplinen auch für Frauen zum olympischen Programm gehörten.

    Der Weg bis dahin war von Kämpfen, kleinen Schritten, aber auch Rückschlägen geprägt. Der Begründer der Spiele der Neuzeit, Baron Pierre de Coubertin, blieb bis zum Ende seiner Amtszeit als Präsident des IOC im Jahr 1925 ein entschiedener Gegner von olympischen Frauenwettbewerben. Weil er ihre Bitte, Frauen in der Leichtathletik bei den Spielen zuzulassen, abgelehnt hatte, veranstalteten sie 1921 ihre eigenen „Olympischen Frauenspiele“. Das IOC störte sich an der Bezeichnung „olympisch“. So wurden sie ab 1922 als „Frauenweltspiele“ ausgetragen. Deren Erfolg führte letztlich dazu, dass das IOC den Frauen bei den Spielen 1928 erstmals fünf leichtathletische Wettbewerbe zubilligte. Allerdings wurde der 800-Meter-Lauf der Frauen umgehend wieder aus dem Programm gestrichen. Da sich einige Läuferinnen im Ziel auf die Bahn sinken ließen, sahen die Funktionäre das als Beweis, dass deren Physis für solch eine Distanz zu schwach sei.

    Mittlerweile laufen die Frauen unter der olympischen Flagge weit mehr als 800 Meter. 2024 in Paris werden sie ihre Leistungen in 152 Wettbewerben unter Beweis stellen. Zum ersten Mal treten sie auch im Breaking an, das als erste Tanzsportart in das Programm aufgenommen wurde. Hinzugekommen sind auch weitere Mixed-Wettbewerbe, etwa im Schießen und im Gehen, um noch mehr Spannung und Emotionalität bei dem sportlichen Sommer-Highlight zu erzeugen. Vor allem aber tragen sie dazu bei, dass 2024 in Paris erstmals Geschlechterparität bei den Olympischen Spielen erreicht werden soll. „Die numerische Parität von Sportlerinnen und Sportlern ist beispielhaft. Dieser Anspruch sollte auch für weitere Bereiche der olympischen Bewegung gelten. Auch wenn das IOC in den letzten zehn Jahren große Schritte gegangen ist, bleibt bis zur wirklichen Geschlechterparität noch einiges zu tun“, schätzt die Sportwissenschaftlerin ein. Das gelte zum Beispiel für die Führungspositionen in den Internationalen Sportverbänden, aber auch für das Betreuungspersonal. Bei den vorherigen Spielen in Tokio waren Tzschoppe zufolge nur 13 Prozent der Coaches weiblich, das Team Deutschland werde diesen Wert auch 2024 mit der Anzahl seiner akkreditierten Trainerinnen nicht übertreffen. Das IOC habe mit dem Programm WISH (Women in Sport High Performance Pathway) 2022 eine Initiative für mehr Trainerinnen gestartet, die bereits erste Ergebnisse zeigt.

    „Nachholbedarf gibt es nach wie vor auch bei der geschlechtergerechten Medienberichterstattung. Das IOC hat deshalb aktualisierte Leitlinien für eine geschlechtergerechte, respektvolle und inklusive mediale Darstellung veröffentlicht, die erstmals auch nicht-binäre sowie Transgender-Aktive berücksichtigen“, erläutert Petra Tzschoppe. Ebenso setze sich das Komitee dafür ein, dass mehr Journalistinnen von den Olympischen Spielen berichten. Die in den Medien vor einiger Zeit thematisierten knappen Outfits der US-Sportlerinnen sieht die Forscherin gelassen: Es sei nicht verpflichtend, diese zu tragen. Der Ausrüster bietet auch Alternativen, so dass die Athletinnen selbstbestimmt entscheiden können, was sie tragen. Mittlerweile sind auch die meisten Sportverbände von sexistischen Bekleidungsvorschriften abgerückt, wie die Expertin berichtet.

    Neuerungen und Tradition bei den Spielen 2024

    Zu den zentralen Kriterien der diesjährigen Olympischen Spiele zählen Inklusion und Nachhaltigkeit. So nutzen die Olympischen und Paralympischen Spiele von Paris 2024 zu 95 Prozent bereits vorhandene oder temporäre Sportstätten. Auch die Eröffnungszeremonie wird nicht wie bisher in einem aufwendig neu gebauten Stadion stattfinden. Stattdessen kann fast eine halbe Million Menschen die Eröffnung live erleben, wenn sich die Delegationen mit einer Bootsparade auf der Seine durch die Stadt bewegen werden. Teilnehmen werden dann mehr als 200 Nationen, zudem 36 Sportler:innen im IOC-Flüchtlingsteam. Auch aus Afghanistan werden je drei Athletinnen und Athleten dabei sein, entsandt durch das vom IOC anerkannte Nationale Olympischen Komitee Afghanistans. Vertreter:innen der Taliban-Regierung erhalten hingegen keine Akkreditierung.

    Ebenfalls ausgeschlossen sind wegen des Kriegs in der Ukraine Russland und Belarus. Einige Aktive dürfen jedoch unter strengen Zulassungsauflagen als „Individuelle Neutrale Athleten“ an den Wettbewerben teilnehmen. Begleitet wurden diese Festlegungen von kontroversen Debatten. Ein starkes Signal ging vor wenigen Tagen von der UN-Generalversammlung aus, deren Präsident Dennis Francis an alle Mitgliedsstaaten appellierte, sich für den olympischen Waffenstillstand zu den Olympischen und Paralympischen Spielen 2024 in Paris einzusetzen. Er forderte alle Kriegsparteien in den aktuellen bewaffneten Konflikten auf der ganzen Welt dazu auf, so eine Gelegenheit zu schaffen, Streitigkeiten friedlich beizulegen. Sport habe das Potenzial, Weltoffenheit, Toleranz sowie das Streben nach Vervollkommnung zu fördern, so Tzschoppe. „Die Spiele bieten die große Chance, ein Gemeinschaftsgefühl zu erzeugen und den Schwerpunkt auf ein friedliches Miteinander zu legen. In den jetzigen Zeiten schwerer Krisen und Kriege ist diese ursprüngliche Idee aktueller denn je.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Petra Tzschoppe
    Sportwissenschaftliche Fakultät
    Telefon: +49 341 97-31637
    E-Mail: tzschoppe@uni-leipzig.de


    Weitere Informationen:

    https://www.uni-leipzig.de/universitaet/service/medien-und-kommunikation/experti...


    Bilder

    Dr. Petra Tzschoppe
    Dr. Petra Tzschoppe
    Foto: Christian Hüller


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Geschichte / Archäologie, Gesellschaft, Sportwissenschaft
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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