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05.03.2025 09:29

Fazit aus der Pandemie: "Krisenpolitik muss alle miteinschließen"

Theresa Bittermann Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien

    Menschen waren durch Corona-Politik in "sozialen Blasen" und besorgt über gesellschaftliche Spaltung

    In ihrer neuen Studie haben Politikwissenschafter*innen der Universität Wien untersucht, wie staatliche Maßnahmen während der COVID-19 Pandemie von den Menschen erlebt wurden. Dabei zeigte sich, dass die Befragten – unabhängig von ihrer Einstellung zum Impfen – Sorge um gesellschaftliche Spaltung und Ausgrenzung hatten. Das Fazit aus den Interviews: Krisenpolitik muss alle miteinschließen, damit sie funktioniert. Die Ergebnisse wurden aktuell in der Fachzeitschrift SSM – Qualitative Research in Health veröffentlicht.

    Die COVID-19-Pandemie hat weltweit nicht nur gesundheitliche, sondern auch gesellschaftliche Herausforderungen mit sich gebracht. Vor diesem Hintergrund haben Isabella Radhuber und Kolleg*innen vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien untersucht, wie gesellschaftliche Wahrnehmung, Impfpolitik und politische Kommunikation in Österreich zusammenwirkten. "Anfänglich lag unser Fokus auf den Konflikten rund um die Impfeinstellung, aber in den Interviews hat sich schnell gezeigt, dass die Sorge um gesellschaftlichen Zusammenhalt über diese spezifischen Konflikte hinausging", erklärt Erstautorin Isabella Radhuber. Die Wissenschafter*innen werteten für diese Studie insgesamt 127 qualitative Interviews aus den Jahren 2020 und 2021 aus. Die Ergebnisse zeigen, dass die gesellschaftliche Spaltung in dieser Krise bereits sehr früh und quer durch alle Bevölkerungsschichten tiefe Besorgnis hervorgerufen hat.

    Viele Menschen berichteten, dass sich ihr Freundes- und Bekanntenkreis während der Pandemie stark veränderte. Gleichgesinnte fanden sich in "sozialen Blasen" zusammen: Wer dieselbe Einstellung zum Impfen hatte, rückte enger zusammen, wer anders dachte, wurde gemieden. "In Krisenzeiten können sich solche Muster der affektiven Polarisierung verstärken – es besteht das Risiko, dass wir uns mit Gleichgesinnten umgeben und Andersdenkende emotional ablehnen", so Radhuber.

    Trotz unterschiedlicher Einstellungen zum Impfen war eine Sache für die Studienteilnehmer*innen aber viel präsenter: Alle Gruppen einte die gemeinsame Sorge der Ausgrenzung. Studienteilnehmer*innen, die von den ersten Impfangeboten nicht überzeugt waren, berichteten etwa davon, dass sie sich ausgegrenzt fühlten. Andere wieder hoben hervor, dass sie eigentlich für eine Impfpflicht wären – aber ihre Sorge um eine noch tiefere gesellschaftliche Spaltung größer war. Der Wunsch nach einer Krisenpolitik auf Augenhöhe hat sich klar abgezeichnet, der Wunsch nach transparenter und verständlicher Kommunikation, danach "alles offen auf den Tisch zu legen" und "auf Augenhöhe mit den Leuten zu reden". Denn, in den Worten einer interviewten Person: "Wir müssen den Zusammenhalt in der Bevölkerung stärken, denn wenn schwierige Zeiten kommen, wie sie es jetzt tun [ ... ], müssen wir irgendwie den Gemeinschaftsgeist wieder aktivieren, wir brauchen ihn, um den Klimawandel zu bewältigen, wir brauchen ihn für zukünftige Krisen, deshalb ist diese Spaltung sehr schlecht, ich halte sie für sehr dumm."

    Maßnahmen, die Geimpfte und Ungeimpfte unterschiedlich behandelten – wie etwa eine zeitweilige 2G-Regel – verstärkten dieses Gefühl der Trennung zusätzlich. "Zu Zeitpunkten, an denen in den Maßnahmen zwischen Geimpften und Ungeimpften unterschieden wurde, sehen wir, dass die gesellschaftliche Spaltung sich vertieft hat und die Bereitschaft den Maßnahmen zu folgen zurückgegangen ist. Ziel der Maßnahmen ist eine Gewährleistung der öffentlichen Gesundheit. Dadurch dass die Maßnahmen aber so spaltend erlebt wurden, konnte genau jenes Ziel weniger gut erreicht werden", sagt Radhuber. Damit Krisenmaßnahmen die gewünschte Wirkung zeigen, müssen sie also alle Menschen abholen – so das eindeutige Fazit.

    "Langfristig kann Krisenpolitik nur dann erfolgreich sein, wenn sie auch gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick hat. Diese Versäumnisse aus der Corona-Politik erschweren den Umgang mit zukünftigen Herausforderungen wie zum Beispiel dem Klimawandel – und können das Vertrauen in politische und wissenschaftliche Institutionen schwächen", betont Co-Autorin Gertrude Saxinger. Die Wissenschafter*innen halten außerdem fest: Eine einschließende Krisenpolitik ist nicht nur für die Bewältigung von Krisen selbst, sondern für jede Politik der Zukunft wichtig. Andernfalls kann sich eine Atmosphäre der gesellschaftlichen Spaltung entwickeln, die etwa von populistischen Bewegungen ausgenutzt werden kann – wie die aktuelle Studie am Beispiel Österreichs und einem Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen zeigt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Isabella M. Radhuber
    Institut für Politikwissenschaft,
    Universität Wien
    1010 Wien, Universitätsstraße 7
    +43-650-2280227
    isabella.radhuber@univie.ac.at
    www.univie.ac.at


    Originalpublikation:

    Radhuber I.M., Kieslich K., Paul K.T., Saxinger G., Ferstl S., Kraus D., Roberts S., Varabyeu-Kancelová, N. & Prainsack B. Why 'Inclusive Policymaking' is Needed During Crises: COVID-19 and Social Divisions in Austria. In SSM– Qualitative Research in Health.
    DOI: 10.1016/j.ssmqr.2025.100539
    https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2667321525000174


    Weitere Informationen:

    https://medienportal.univie.ac.at/media/aktuelle-pressemeldungen/detailansicht/a...


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Gesellschaft, Politik
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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