idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
14.04.2025 09:40

Ausgeklügelte Pyrotechnik in der Eiszeit: So machten Menschen vor zehntausenden Jahren Feuer

Theresa Bittermann Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien

    Unterschiede zwischen den Feuerstellen deuten auf eine ausgefeilte Nutzung hin

    Egal ob zum Kochen, Wärmen, als Lichtquelle oder zum Herstellen von Werkzeugen – bisher wird angenommen, dass Feuer für die Menschen in der Eiszeit überlebensnotwendig war. Rätselhaft ist jedoch, dass bisher kaum gut erhaltene Belege für Feuerstellen aus dem kältesten Abschnitt der Eiszeit in Europa gefunden wurden. Eine Gruppe von Wissenschafter*innen unter Leitung der Universität der Algarve und der Universität Wien konnte nun etwas Licht in das Rätsel um das Eiszeit-Feuer bringen. Ihre Analyse von drei Feuerstellen an einer prähistorischen Fundstätte in der Ukraine zeigt: Die Menschen der letzten Eiszeit bauten verschiedene Feuerstellen und benutzten vor allem Holz, möglicherweise aber auch Knochen und Fett zum Befeuern. Die Ergebnisse wurden aktuell im Fachmagazin Geoarchaeology veröffentlicht.

    Archäologische Untersuchungen zeigen: Die Menschen in der Altsteinzeit in Europa nutzten vor 45.000 bis 10.000 Jahren das Feuer auf verschiedene Weise. "Beim Feuer ging es nicht nur darum, sich warm zu halten; es war auch für das Kochen, die Herstellung von Werkzeugen und für gesellige Zusammenkünfte unerlässlich", sagt Philip R. Nigst, einer der leitenden Autor*innen und Archäologe an der Universität Wien. Oft wurde also angenommen, dass Feuer für das Überleben der Jäger*innen und Sammler*innen im eiszeitlichen Europa unerlässlich war. Erstaunlicherweise gibt es aber kaum gut erhaltene Belege für die Nutzung von Feuer aus dem kältesten Abschnitt der Eiszeit – also vor 26.500 bis vor 19.000 Jahren – in Europa. "Wir wissen zwar, dass Feuer vor und nach diesem Zeitraum weit verbreitet war, aber es gibt kaum Belege aus der Zeit des Höhepunkts der Eiszeit", schildert William Murphree, Hauptautor der Studie und Geoarchäologe an der Universität der Algarve.

    Umso bedeutender ist die aktuelle Studie, denn die Wissenschafter*innen haben drei von ihnen entdeckte Feuerstellen an einer prähistorischen Fundstätte in der Ukraine genau analysiert. Das gelang mithilfe einer Reihe innovativer geoarchäologischer Techniken. Durch mikrostratigraphische Analyse, Mikromorphologie und kolorimetrische Analyse identifizierte das Team drei einfache flache, mit Holz befeuerte Feuerstellen. Ein interessanter Befund daraus: Diese Feuer erreichten Temperaturen von mehr als 600 °C, was eine ausgeklügelte Beherrschung der Pyrotechnik selbst angesichts extremer Umweltbelastungen beweist.

    Die Analyse zeigt auch, dass Menschen in der Zeit des Höhepunkts der Eiszeit Holz als Hauptbrennstoff verwendeten, Holzkohleanalysen weisen auf Fichtenholz hin. Aber auch andere Brennstoffe wie Knochen oder Fett könnten verwendet worden sein. "Einige der an der Fundstätte gefundenen Tierknochen wurden in einem Feuer mit einer Temperatur von über 650 Grad Celsius verbrannt. Wir untersuchen derzeit, ob sie als Brennstoff verwendet wurden oder nur versehentlich verbrannt sind", erklärt Marjolein D. Bosch, eine der Autor*innen und Archäozoologin an der Universität Wien, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Naturhistorischen Museum Wien.

    Alle drei Feuerstellen sind offene und flache Feuerstellen. Die neuen Ergebnisse deuten aber auf eine ausgeklügelte Nutzung des Feuers hin, denn die Feuerstellen dürften in unterschiedlichen Jahreszeiten gebaut und auch unterschiedlich genutzt worden sein. Eine der drei Feuerstellen ist etwa größer und dicker, hier wurden vermutlich höhere Temperaturen erzielt. "Die Menschen kontrollierten das Feuer perfekt und wussten es auf verschiedene Weise zu nutzen – je nach Zweck des Feuers. Aber unsere Ergebnisse zeigen auch, dass diese Jäger*innen und Sammler*innen während ihrer jährlichen Wanderungen denselben Ort zu verschiedenen Jahreszeiten nutzten", erklärt Nigst.

    Trotz dieser neuen Erkenntnisse bleibt die geringe Anzahl an Feuerstellen aus der Zeit des letzten Eiszeitmaximums rätselhaft. "Wurden die meisten Beweise durch das für die Eiszeit typische, wechselnde Auftauen und Zufrieren des Bodens zerstört?", fragt Murphree. "Oder haben die Menschen während des letzten Eiszeitmaximums nicht genug Brennstoff gefunden? Haben sie kein Feuer benutzt, sondern sich stattdessen auf andere technologische Lösungen verlassen?", ergänzt Nigst. Indem sie die Rolle des Feuers in der menschlichen Evolution weiter aufdecken, hoffen die Forscher*innen, Licht in eine der wohl grundlegendsten Technologien zu bringen, die den Erfolg unserer Spezies bei der Besiedlung jedes einzelnen Teils dieses Planeten mitgeprägt hat.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Ass.-Prof. Mag. Dr. Philip Ronald Nigst
    Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie,
    Universität Wien
    1190 Wien, Franz-Klein-Gasse 1
    T +43-1-4277-40454
    philip.nigst@univie.ac.at
    www.univie.ac.at


    Originalpublikation:

    William Chase Murphree, Cruz Ferro‐Vázquez, Larissa Kulakovska, Vitalii I. Usyk, Olesia Kononenko, Marjolein D. Bosch, Paul Haesaerts, Freddy Damblon, Stéphane Pirson, Philip R. Nigst & Vera Aldeias: Fire use during the Last Glacial Maximum: evidence from the Epigravettian at Korman' 9, Middle Dniester Valley, Ukraine. In Geoarchaeology, 40(2), e70006, 2025
    DOI: 10.1002/gea.70006
    https://doi.org/10.1002/gea.70006


    Weitere Informationen:

    https://medienportal.univie.ac.at/media/aktuelle-pressemeldungen/detailansicht/a...


    Bilder

    Profil durch die große Feuerstelle 1
    Profil durch die große Feuerstelle 1

    Philip R. Nigst


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer, Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).