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13.06.2025 10:00

Neuer Ansatz soll Erkenntnisse aus Tierexperimenten zuverlässiger machen

Blandina Mangelkramer Presse und Kommunikation
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

    FAU-Forschende übertragen Labormäusen eine natürliche Magen-Darm-Flora - und machen sie dadurch robuster gegenüber kleinen Unterschieden in den Haltungsbedingungen

    Viele Erkenntnisse der medizinischen Forschung stammen aus Experimenten mit Mäusen. Doch oft lassen sich Resultate, die in einem bestimmten Labor gewonnen wurden, von anderen Arbeitsgruppen nicht reproduzieren. Forschende unter Federführung der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) und in Kooperation mit den Universitäten Duisburg-Essen und Freiburg sowie dem Helmholtz-Zentrum Braunschweig haben für dieses Problem nun eine mögliche Lösung präsentiert: Sie übertrugen Labormäusen eine weitgehend natürliche Magen-Darm-Flora von wildlebenden Mäusen. Diese ist vermutlich deutlich robuster gegenüber kleinen Unterschieden in den Haltungsbedingungen. Zudem reifte durch diese Übertragung die Immunabwehr der Nager; sie ähnelte danach dem Immunsystem wildlebender Mäuse und erwachsener Menschen. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift Nature Communications erschienen.

    Labormäuse gibt es schon seit rund hundert Jahren. Sie stammen ursprünglich von der Hausmaus ab. Bei ihrer Züchtung wurden über viele Generationen ausschließlich Geschwister miteinander verpaart. Daher sind die Nager genetisch fast vollständig identisch. Wenn in einem Experiment Abweichungen zwischen Versuchs- und Kontrolltieren gefunden werden, lassen sich diese also nicht mit Unterschieden in den Erbanlagen erklären. „Aus diesem Grund eignen sich die Tiere im Prinzip ausgezeichnet dazu, medizinische Fragestellungen zu klären“, betont Studienleiter Prof. Dr. Stephan Rosshart, Professor für Mikrobiomik an der FAU und Leiter der Abteilung für Mikrobiom-Forschung am Uniklinikum Erlangen.

    Um zu verhindern, dass äußere Einflüsse die Ergebnisse solcher Versuche verfälschen, werden konventionelle Labormäuse unter weitgehend sterilen Bedingungen aufgezogen. Doch diese Vorgehensweise birgt zwei große Nachteile: Einerseits gelingt es den Nagetieren dadurch nicht, ein reifes Immunsystem auszubilden. Ihre Abwehrzellen verhalten sich also ganz anders als bei ihren Verwandten in der freien Wildbahn oder auch beim Menschen. Das schränkt die Übertragbarkeit der experimentell gewonnenen Erkenntnisse ein. Zum Beispiel kann sich ein Wirkstoff in Labormäusen als sehr effektiv erweisen, in entsprechenden Studien am Menschen aber völlig versagen.

    Empfindliches Mikrobiom

    Der zweite Nachteil betrifft das sogenannte Mikrobiom. Darunter versteht man die Arten von Mikroorganismen, die auf der Haut der Mäuse, in ihrer Mundhöhle oder in ihrem Magen-Darm-Trakt leben. Da die Tiere nur mit sehr wenigen Bakterienarten in Kontakt kommen, unterscheidet sich ihr Mikrobiom stark von dem ihrer wildlebenden Verwandten. Zudem ist es ausgesprochen empfindlich: „Schon kleine Änderungen in den Haltungsbedingungen können die Zusammensetzung der Mikroorganismen dramatisch ändern“, sagt Rosshart.

    Tiere, die in zwei verschiedenen Laboratorien derselben Stadt gehalten werden, können also ein völlig unterschiedliches Mikrobiom haben. Das ist deshalb problematisch, weil das die Resultate von Experimenten erheblich beeinflussen kann. Möglicherweise ist diese Tatsache auch ein Grund für ein Phänomen, das in der Fachwelt als „Reproduktions-Krise“ bezeichnet wird: Oft genug lassen sich Ergebnisse, die in einem bestimmten Labor gewonnen wurden, von anderen Arbeitsgruppen nicht wiederholen (reproduzieren).

    Wilde Hausmäuse als Leihmütter

    Bereits 2019 erfand Rosshart, damals noch in den USA tätig, sogenannte Wildlinge, indem er Hausmäuse als „Leihmütter“ verwendete und ihnen Labormaus-Embryonen implantierte. Nach der Geburt verfügten die Jungtiere dadurch über ein Mikrobiom, das dem von Wildmäusen entsprach. Zudem besaßen Wildlinge ein dem Menschen vergleichbares Immunsystem, wodurch die gewonnenen Daten besser auf den Menschen übertragbar waren. In der aktuellen Studie hat das Team um den Erlanger Wissenschaftler diesen Prozess nun vereinfacht und standardisiert, um das Problem der Reproduktions-Krise zu lösen. „Wir haben nun aus dem Magen-Darm-Trakt eines Wildlings die Mikroorganismen isoliert und über eine Sonde in den Magen einer konventionellen Labormaus übertragen“, sagt Rosshart.

    Nicht nur bei diesem Tier, sondern auch bei seinen vier Stallgenossen entwickelte sich daraufhin binnen weniger Tage ein Wildmaus-ähnliches Mikrobiom. Die Forschenden konnten zeigen, dass es in seiner Zusammensetzung außergewöhnlich stabil ist - immerhin hat sich das natürliche Mikrobiom im Laufe der Evolution immer weiter optimiert. Tatsächlich ist es so, dass sich bei wildlebenden Mäusen die Zusammensetzung der Mikroorganismen nur relativ wenig unterscheidet, selbst wenn man Tiere aus den USA und Deutschland vergleicht. Experimente mit den nach dem nun entwickelten Prozess behandelten Mäusen sollten also reproduzierbarere Ergebnisse liefern.

    Zudem reifte durch diese Übertragung die Immunabwehr der Nager. Sie ähnelte danach dem Immunsystem wildlebender Mäuse sowie erwachsener Menschen. Das könnte dafür sorgen, dass Versuche mit den Tieren realistischere Ergebnisse liefern als mit ihren sterilen Artgenossen. „Wir können das aus Wildlingen gewonnene Mikrobiom einfrieren und an interessierte Labore weltweit verschicken“, erklärt Rosshart. „Die Bakterien vor Ort auf eine Vielzahl von Tieren zu übertragen, ist dann sehr einfach. Wir hoffen, so eine Art Standard-Mikrobiom für Labormäuse zu etablieren und damit die Reproduzierbarkeit und Allgemeingültigkeit globaler biomedizinischer Forschung zu verbessern.“

    Direkt zur Studie: https://doi.org/10.1038/s41467-025-60554-2

    Ansprechpartner für Medien:
    Prof. Dr. Stephan P. Rosshart
    Professur für Mikrobiomik
    Tel.: 09131/85-45277
    stephan.rosshart@uk-erlangen.de


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Stephan P. Rosshart
    Professur für Mikrobiomik
    Tel.: 09131/85-45277
    stephan.rosshart@uk-erlangen.de


    Originalpublikation:

    https://doi.org/10.1038/s41467-025-60554-2


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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