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07.08.2025 09:55

Neuer Therapieansatz bei seltener Hirnerkrankung im Kindesalter

Johannes Faber Stabsstelle Unternehmenskommunikation
Universitätsklinikum Freiburg

    Freiburger Mediziner*innen zeigen erstmals, dass Immunzellen im Gehirn an der Entsorgung von Stoffwechselprodukten beteiligt sind / Aussicht auf Therapieoptionen für schwere Hirnerkrankung bei Kindern / Publikation im Fachjournal Nature

    Forschende des Universitätsklinikums Freiburg haben gemeinsam mit einem internationalen Team aus Mannheim, Göttingen, Boston (USA), Fukuoka (Japan) und dem Max-Planck-Institut für Immunobiologie und Epigenetik (MPI-IE) in Freiburg herausgefunden, dass Immunzellen im Gehirn die Nervenzellen bei der Entsorgung von Stoffwechselprodukten unterstützen. Sie konnten zeigen, dass eine Störung dieser bislang unbekannten Funktion zur seltenen, schweren kindlichen Demenz Morbus Sandhoff führt. Dabei können im Gehirn Fettsäuren nicht abgebaut werden, was letztlich zum Tod der Kinder führt. Aufbauend auf den Ergebnissen kann nun eine Therapie entwickelt werden, die an der Ursache der Erkrankung angreift. Auch für andere neurologische Erkrankungen kann diese Erkenntnis von Bedeutung sein. Die Studie wurde am 06. August im Fachjournal Nature veröffentlicht.

    „Unsere Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, wie wichtig das Zusammenspiel von Immun- und Nervenzellen für die Hirngesundheit ist – das eröffnet neue Therapieperspektiven, nicht nur für die Sandhoff-Krankheit, sondern auch für andere neurodegenerative Erkrankungen“, sagt Studienleiter Prof. Dr. Marco Prinz, Ärztlicher Direktor des Instituts für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg und Mitglied des Exzellenzcluster Centre for Integrative Biological Signalling Studies (CIBSS) der Universität Freiburg. „Für die Sandhoff-Krankheit ist das ein wichtiger Schritt hin zu einer spezifischen Therapie.“

    Was sind lysosomale Speicherkrankheiten?

    Lysosomale Speichererkrankungen sind seltene, genetisch bedingte Stoffwechselstörungen. Dabei funktionieren zelluläre Abbauprozesse nicht korrekt – insbesondere in den Lysosomen, den „Müllschluckern“ der Zelle. Die Folge: Fett- und Zuckermoleküle lagern sich an und schädigen unter anderem das Gehirn. Bei der Sandhoff-Krankheit sammelt sich insbesondere der Fettstoff GM2 in den Nervenzellen an – mit schweren neurologischen Folgen bis zur vollständigen Demenz und dem Tod bereits im Kindesalter.

    Nervenzellen können nur mit Unterstützung Fettstoffe abbauen

    Das Forschungsteam hat nun herausgefunden, dass sogenannte Mikrogliazellen – die Immunzellen des Gehirns – im gesunden Zustand ein Enzym namens β-Hexosaminidase ausschütten. Dieses Enzym gelangt zu benachbarten Nervenzellen und hilft dort beim Abbau von GM2. Fehlt dieses Enzym, wie bei der Sandhoff-Krankheit, stauen sich GM2-Fettmoleküle in den Nervenzellen an. Das wiederum aktiviert die Mikrogliazellen auf ungewöhnliche Weise: Sie erkennen das GM2 über einen speziellen Rezeptor und beginnen, entzündungsfördernde Botenstoffe freizusetzen. Die Folge: eine zerstörerische Immunreaktion im Gehirn.

    Neues Verständnis – neue Therapieansätze

    Die Forschenden konnten nicht nur diesen bislang unbekannten Signalweg entschlüsseln, sondern auch zeigen: Wenn Mikrogliazellen im Mausmodell gezielt durch gesunde Immunzellen aus dem Blut ersetzt werden, lässt sich der Krankheitsverlauf stoppen. Die Nervenzellen bauen wieder GM2 ab, die Entzündungsreaktionen gehen zurück, und die Tiere überleben ihre sonst tödliche Erkrankung. „Unsere Studie zeigt, dass Mikrogliazellen nicht nur Wächter des Gehirns sind, sondern aktiv zur Gesundheit von Nervenzellen beitragen – indem sie ihnen bei der Entsorgung von Stoffwechselabfällen helfen“, erklärt Erstautor Dr. Maximilian Frosch, Arzt am Institut für Neuropathologie des Universitätsklinikums Freiburg. „Dieser Mechanismus könnte auch bei Alzheimer, Multipler Sklerose und anderen neurologischen Erkrankungen eine Rolle spielen.“

    Blick in die Zukunft

    Auch im Gewebe verstorbener Sandhoff-Patient*innen fanden sich dieselben molekularen Veränderungen wie im Mausmodell – ein starkes Indiz für die Übertragbarkeit auf den Menschen. „Langfristig könnten genetisch veränderte Immunzellen oder spezifische Wirkstoffe, die in diesen neu entdeckten Signalweg eingreifen, neue Behandlungsoptionen für zahlreiche neurologische Erkrankungen bieten“, sagt Prinz.

    Originaltitel der Studie: Microglia–neuron crosstalk via Hex–GM2–MGL2 maintains brain homeostasis

    DOI: 10.1038/s41586-025-09477-y.

    Link zur Studie: https://www.nature.com/articles/s41586-025-09477-y


    Originalpublikation:

    Microglia–neuron crosstalk via Hex–GM2–MGL2 maintains brain homeostasis


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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