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Der kometenhafte Aufsteiger Isaak Dunajewski, zur Stalinzeit als Komponist in der Sowjetunion erfolgreich, steht im Mittelpunkt eines Projektes, welches im Rahmen des Forschungsschwerpunktes "Diktaturen im Europa des 20. Jahrhunderts: Strukturen, Erfahrungen, Überwindung und Vergleich" der Volkswagen-Stiftung am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte der Universität Erlangen-Nürnberg durchgeführt wird. Der Bearbeiter, Matthias Stadelmann M. A., verbindet damit eine Promotion bei Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Helmut Altrichter.
Eine Kuh im Bett, ein Schaf als Tiger verkleidet, ein Schwein auf silbernem Tablett, Ziegen und Esel als schleckende, schmatzende Gourmets an, auf und unter einer festlich gedeckten Tafel, Ohnmachtsanfälle und Panikausbrüche, eine verwüstete Villa und tödlich beleidigte Herzen - und all das nur, weil eine musikbegeisterte, aber etwas einfältige Dame einen talentierten Kolchoshirten mit dem Starkomponisten Fraskini verwechselt hat. Aber trotz aller Irrtümer, Peinlichkeiten und chaotischer Zwischenfälle: Aus dem fröhlich mit seiner Herde durch das Land wandernden "Hauptviehhirten" Potechin wird schließlich der umjubelte Star eines Revuespektakels im Moskauer Bolschoi Theater, wo er zusammen mit seiner Angebeteten - deren Karriere von einer staubwischenden Haushaltshilfe zur Sängerin kaum weniger beeindruckend ist - und einer gut aufgelegten Jazzband das Publikum zu Beifallsstürmen hinreißt.
Die virtuos gedrehte, mit Stars wie Leonid Utjosow und Ljubow Orlowa herausragend besetzte und überaus erfolgreiche Filmkomödie "Lustige Kameraden" (Wesjolye rebjata) des Regisseurs Grigori Alexandrow mit der zündenden Musik von Isaak Dunajewski aus dem Jahr 1934 zeichnet ein heiteres und sorgenfreies Bild der Sowjetunion in der Zeit Stalins. Glückliche Menschen auf dem Lande, reiche Ernten auf den sonnigen Hängen der Krim, unbeschwerter Urlaub an den Stränden des Schwarzen Meeres, witzig-humorvolle und opulent-ausladende Vorstellungen auf sowjetischen Bühnen, am Ende - unter dem Zeichen von Hammer und Sichel in Rußlands musiktheatralem Heiligtum, dem Moskauer Bolschoi - eine grandiose Apotheose sowjetischen Lebensmutes: "Wer mit dem Lied durchs Leben schreitet, wird niemals und nirgendwo zugrunde gehen!"
Den Millionen von Menschen freilich, die zur gleichen Zeit - ebenfalls unter dem Zeichen von Hammer und Sichel - in Arbeitslagern oder Gefängnissen oder an unwirtlichen Verbannungsorten saßen, konnte das Lied aus ihrer Lage ebensowenig helfen wie den etwa 6 Millionen, die 1932-34 im Zuge rücksichtslos durchgeführter Kollektivierungsmaßnahmen in der Sowjetunion verhungert waren, oder den massenhaften Opfern des "Großen Terrors" der Jahre 1936-38, als niemand in der Sowjetunion sicher zu sein schien vor Verfolgung, Verhaftung oder gar Erschießung.
Wie paßt das zusammen: Heitere Filmkomödien, leichte Muse voller Esprit und Charme, swingende Jazzbands, begeisterte Zuschauer, jubelnde Massen und ein totalitäres Regime, das der Bevölkerung gnadenlos seinen Willen aufzuzwingen sucht, sie mit Brutalität in eine neuartige Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung treibt, ihr schwere materielle Nöte zumutet, sie mit einem riesigen Geheimpolizei- apparat repressiert, den Tod unzähliger Menschen in Kauf nimmt, wenn nicht gar veranlaßt? War angesichts dessen die Fröhlichkeit nur zynisch gespielt, als Propagandamittel befohlen, perfekt umgesetzt und von einem geschundenen Volk bereitwillig als Ablenkung konsumiert? Oder verhält es sich nicht doch komplizierter, indem eben verschiedene Arten von Wirklichkeit in der stalinistischen Diktatur vorherrschten? Wie können wir diese Zweischneidigkeit von überschäumender Lebensfreude einerseits und zwanghaftem System andererseits verstehen und erklären?
Ein Mensch, dessen Lebenslauf geprägt wurde von dieser Zweischneidigkeit, war beispielsweise der Musiker Isaak Dunajewski: Ein begabter junger Mann jüdischer Herkunft, aus der ukrainischen Provinz stammend, der zunächst eine "klassische" Konservatoriumsausbildung genossen, dann aber in den dreißiger Jahren mit unbeschwerter Unterhaltungsmusik eine atemberaubende Karriere gemacht hat. Auf die "Lustigen Kameraden" folgte die Musik zu "Zirkus", "Wolga-Wolga" und weiteren Filmen, alle heiter und erfolgreich; er schrieb Operetten, Lieder, die zu "Schlagern" wurden, Hymnen, Märsche, Walzer - Musik, die bis heute für ältere Generationen in Rußland klingendes Symbol ihrer Kindheit und Jugend geblieben ist.
Als die "Lustigen Kameraden" in den Kinos gezeigt wurden, war Dunajewski ein erfolgreicher, gutaussehender Mittdreißiger, voller Talent, Charme und Witz, der das Publikum mit Musik im Stil von Offenbach und Lehár begeisterte, zusammen mit Leonid Utjosows Jazzorchester Tschaikowski und Rimski-Korsakow verswingte, sich für die Aufführung von Gershwins "Rhapsodie in Blue" in der UdSSR einsetzte, mit sentimentalen Romanzen die Herzen rührte, mit feierlich-marschartigen Liedern den Sowjetpatriotismus wirkungsvoll zum Klingen brachte.
Dunajewski war aber auch - obwohl zeitlebens ohne Parteibuch - Funktionsträger im stalinistischen System: 1937 wählte man ihn zum Vorsitzenden des Leningrader Komponistenverbandes, ihn, der als Vertreter der leichten Muse Außenseiter war unter kompositorischen Autoritäten wie Schostakowitsch, Gnessin oder Steinberg. Im selben Jahr übernahm er die Leitung des Lied- und Tanzensembles des Leningrader Pionierpalastes, im Jahr darauf wurde er zusätzlich Direktor des Musikensembles des Zentralen Kulturhauses der Eisenbahner, mit welchem er auch während des 2. Weltkrieges das notleidende Land bereiste. Als in der Nachkriegszeit der Kampf gegen den "Kosmopolitismus" wütete, wurde Dunajewski Mitglied im Vorstand des 1948 neu geschaffenen zentralen Sowjetischen Komponistenverbandes. Höhepunkt seiner politisch-gesellschaftlichen Karriere war jedoch sicher die Wahl zum Abgeordneten des Obersten Sowjets der Russischen Föderativen Sowjetrepublik gewesen, zehn Jahre zuvor, im Jahr 1938.
Freiräume und Pflichten
Unter dem Arbeitstitel "Isaak Dunajewski im Musikleben der Sowjetunion. Strukturelle Hintergründe und individuelle Erfahrung einer Karriere in der stalinistischen Diktatur" soll nun versucht werden, die vielseitige, bisher wissenschaftlich unzureichend aufgearbeitete Person Dunajewskis im Kontext der Stalin-Zeit darzustellen, was verschiedene Erkenntnisebenen ermöglicht: Zum einen wird nach der individuellen Erfahrung eines beeindruckenden Werdegangs in der stalinistischen Sowjetunion gefragt, zum anderen werden die kultur-, gesellschafts- und allgemeinpolitischen Voraussetzungen dieser Karriere greifbar. Sie definieren Spiel- und Freiräume, aber auch Vorgaben, Anforderungen und Verpflichtungen - Erwartungen, denen sich Dunajewski zunächst als Leiter der Leningrader "Mjusik-choll" (music hall), später als Vorsitzender des Komponistenverbandes, als Leiter des Pionier- und Eisenbahnerensembles, sowie als Abgeordneter des Obersten Sowjets stellen mußte.
Isaak Dunajewski als erfolgreicher Musiker sowie als Funktionsträger in Kultur, Politik und Gesellschaft des stalinistischen Systems bietet die Chance, abseits ausgetretener Pfade die Dimensionen persönlichen Erlebens und Verarbeitens diktatorischer Herrschaft in Verbindung mit den allgemeinen Rahmenbedingungen eines solchen Staates zu erfassen, zu analysieren und zu erklären. Die Verschmelzung individueller Erfahrungs- mit übergreifender Strukturgeschichte am Beispiel Dunajewskis soll Aufschluß über die konkrete Lebenspraxis im Stalinismus geben und gleichzeitig zu einem tieferen Verständnis von sowjetischer Kultur und Gesellschaft unter der Herrschaft Stalins und der Kommunistischen Partei führen.
Matthias Stadelmann
* Kontakt:
Prof. Dr. Helmut Altrichter, Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte
Bismarckstraße 12, 91054 Erlangen, Tel.: 09131/85 -22363
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Geschichte / Archäologie, Kunst / Design, Musik / Theater, Politik, Recht
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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