idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
30.01.2018 09:23

Islamwissenschaftler erforschen türkischen Atheismus

Johannes Scholten Stabsstelle Hochschulkommunikation
Philipps-Universität Marburg

    Fordert Atheismus die herrschende Elite der Türkei heraus, sofern er im öffentlichen Raum sichtbar ist? Fragen wie diese stehen im Fokus eines neuen Forschungsprojektes, das seit Kurzem am Marburger Centrum für Nah- und Mittelost-Studien (CNMS) angesiedelt ist. Das Vorhaben mit dem Titel „Glücklich ist derjenige, der sich Atheist nennt – Atheismus und die politische Bedeutung von Kultur in der zeitgenössischen Türkei“ ist Teil des Programms "Blickwechsel: Studien zur zeitgenössischen Türkei" der „Stiftung Mercator“, welche die Arbeit am Fachgebiet Islamwissenschaft mit 300.000 Euro fördert.

    „Die Bedeutung des Themas Atheismus ist im Zusammenhang mit dem Kulturkampf zu sehen, der sich gegenwärtig in der Türkei vollzieht“, sagt der Islamwissenschaftler Dr. Pierre Hecker, der das Vorhaben leitet. Schon seit geraumer Zeit strebe die herrschende Elite danach, die von ihr favorisierte Kultur eines frommen Konservatismus zur gesellschaftlichen Norm zu erheben, um auf diese Weise ihre politische Macht in Staat und Gesellschaft zu festigen.

    „Wir verstehen Kultur als ein Feld politisch-ideologischer Auseinandersetzungen“, führt der Islamwissenschaftler aus. Moralisch-religiös sensible Themen wie Nacktheit, Sexualität, Alkoholkonsum, Evolutionsbiologie oder Religionskritik unterlägen in der Türkei in zunehmendem Maße einer systematischen Verbannung aus Bildung und Medien; gleichzeitig ließen sich eine Stärkung religiöser Bildungsangebote durch den Staat ebenso beobachten wie eine zunehmende Sichtbarkeit religiöser Referenzen und Symboliken in Politik und Gesellschaft. „Das erklärte Ziel der Erziehung einer neuen, religiösen Generation stellt das bisherige Modell des türkischen Säkularismus und die sich aus diesem speisende nationale Identität zunehmend in Frage“, erläutert Projektleiter Hecker. Praktiken eines nicht-religiösen Lebensstils werden in diesem Kontext als widerständig betrachtet.

    Wie Hecker erklärt, existiert bislang so gut wie keine Sekundärliteratur zum Thema Atheismus in der Türkei. Es gebe zwar Daten zu religiöser Zugehörigkeit, die von verschiedenen Meinungsforschungsinstituten erhoben worden seien, diese Daten seien meist aber nur bedingt zuverlässig.

    „Das Projektteam analysiert den öffentlichen Diskurs um Atheismus unter anderem über eine systematische Auswertung von Twitter-Daten“, legt Hecker dar, „etwa zum Umgang mit nichtreligiösen Lebensweisen während des Fastenmonats Ramadan, volksverhetzenden Äußerungen von Politikern und Geistlichen gegen Atheistinnen und Atheisten oder dem Gerichtsprozess gegen den international renommierten Komponisten und selbsterklärten Atheisten Fazıl Say“.

    Das CNMS kooperiert bei diesem Vorhaben mit Wissenschaftlern zweier Istanbuler Hochschulen, nämlich mit Professor Dr. Kaya Akyıldız von der Bahçeşehir Universität und mit Professor Dr. Ivo Furman von der Bilgi Universität. Vom 14. bis 16. Februar 2018 veranstaltet das CNMS in Marburg einen internationalen Workshop unter dem Titel „The Politics of Culture in Contemporary Turkey“, in dem es um die Frage geht, welche politische Bedeutung dem Feld der Kultur in der aktuellen Auseinandersetzung um Hegemonie und Widerstand in der Türkei zukommt.

    Mit ihrem Programm „Blickwechsel. Studien zur zeitgenössischen Türkei“ versucht die „Stiftung Mercator“ zu einem differenzierteren Bild der Türkei beizutragen, dessen Verhältnis zu Deutschland und Europa derzeit stark von tagespolitischen Ereignissen belastet erscheint. Die Stiftung Mercator fördert außerdem den Austausch von Journalisten, Kulturmanagern, Wissenschaftlern, Nachwuchsführungskräften und einer Reihe von zivilgesellschaftlichen Akteuren zwischen Europa, Deutschland und der Türkei.

    Das Marburger Centrum für Nah- und Mittelost-Studien bündelt seit zehn Jahren die nahostbezogenen Kompetenzen in Hessen. Philologisch und historisch ausgerichtete Professorinnen und Professoren lehren und forschen hier zusammen mit gesellschafts- und wirtschaftswissenschaftlichen Kolleginnen und Kollegen.

    Weitere Informationen:
    Ansprechpartner: Dr. Pierre Hecker,
    Centrum für Nah- und Mittelost-Studien
    Tel.: 06421 28-24957
    E-Mail: pierre.hecker@staff.uni-marburg.de

    Projektinformationen beim CNMS: http://www.uni-marburg.de/cnms/aktuelles/news/2016-11-atheismus-tuerkei

    Projektinformationen bei der Mercator-Stiftung: http://www.blickwechsel-tuerkei.de/de/Projekte/aktuell/Atheismus/index.php

    Zehn Jahre CNMS: https://www.uni-marburg.de/de/aktuelles/news/einmaliges-spektrum-nahostwissensch...


    Bilder

    Mode im Zeichen des Kopftuchs: Türkische Frauen lassen sich bei der „Konservativen Modewoche“ vor einem Reklamewandbild fotografieren.
    Mode im Zeichen des Kopftuchs: Türkische Frauen lassen sich bei der „Konservativen Modewoche“ vor ei ...
    (Foto: Dr. Pierre Hecker; die Bilder dürfen nur im Zusammenhang mit der Berichterstattung über das angezeigte wissenschaftliche Projekt verwendet werden)
    None

    Der Islamwissenschaftler Dr. Pierre Hecker leitet das Forschungsprojekt zum Atheismus in der Türkei.
    Der Islamwissenschaftler Dr. Pierre Hecker leitet das Forschungsprojekt zum Atheismus in der Türkei. ...
    (Foto: Mercator-Stiftung)
    None


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).